KULTURWANDEL
IN KRISEN
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Schnelle Entscheidungen bei 50.000 Mitarbeitern – wie mehrmonatige Prozesse plötzlich in Tagen umgesetzt wurden

Bitte beschreiben Sie in zwei Sätzen, welche Herausforderungen Sie meistern mussten.

Als weltweit tätiger Handels- und Dienstleistungskonzern mit 30 wesentlichen Unternehmensgruppen und rund 50.000 Mitarbeitern mussten wir uns flexibel auf die sehr dynamischen Herausforderungen der Corona-Pandemie einstellen. Unter anderem haben wir Entscheidungsprozesse beschleunigt und teilweise zentraler organisiert.

Es mussten auch neue Lösungen her: Mit den bundesweit verordneten Kontaktbeschränkungen galt es, schnellstmöglich Tausende von Kolleginnen und Kollegen ins Home-Office bringen. Dazu zählen auch Bereiche wie die Relation Center (Kundenservice), die bis dato nicht mobile arbeiteten. Zudem stellten sich uns die Fragen: ,Wie schaffen wir Zusammenarbeit und Teamzugehörigkeit aus der Distanz heraus und in den Betrieben, wo keine Distanz möglich ist, wie sorgen wir für die Sicherheit am Arbeitsplatz?’

Wie haben Sie diese Herausforderungen gelöst?

Teils haben wir Prozesse zentral gesteuert - und tun dies noch -, um die einzelnen Konzernunternehmen bei Einzelthemen zu entlasten. Auch das Kommunikationsmanagement erfährt gerade eine starke gemeinsame Ausrichtung. Als Community werden die einzelnen Kommunikationsabteilungen viel schneller und reaktionsfähiger.

Neue Lösungen: Kontaktlose Paketannahme

Jeder unserer Hermes Zusteller*innen hat täglich Dutzende von Kontakten zu Menschen, an die Pakete ausgeliefert werden. Um die Gesundheit der Zusteller*innen und Kund*innen bestmöglich zu schützen, haben wir in fünf Tagen den Prozess verändert und den kontaktlosen Empfang der Sendungen eingeführt. Die Unterschrift per Scanner entfällt, stattdessen wird der Sendungserhalt per Fotonachweis belegt. Empfänger unterschreiben mit einem Kugelschreiber auf dem Paket und der Bote fotografiert diese Unterschrift ab. Wenn der Empfänger dazu noch seinen eigenen Stift verwendet, minimieren wir den physischen Kontakt auf ein Mindestmaß. Das Umzusetzen war nicht trivial, wurde jedoch von einem cross-funktionalen Team erfolgreich entwickelt.

Neue Lösungen: Home-Office

Neue Lösungen wurden auch für die Kolleg*innen aus den Relation Centern gefunden, die bis dato noch gar nicht mobile oder aus dem Home-Office arbeiten konnten. Die dazu nötige Software und Technik wurde in kürzester Zeit angepasst. Wo früher ein mehrmonatiges Programm mit Beratern und In-House-Consultants gebraucht wurde, ging die Umstellung gefühlt „von jetzt auf gleich“. Dank einer phänomenal arbeitenden IT-Abteilung der Otto Group können aktuell rund 70 Prozent der Kolleg*innen der Relation Center von zu Hause aus arbeiten.

Anstatt mehrerer tausend Menschen haben wir nun nur noch eine „Notbesetzung“ von rund 120 Menschen auf unserem Campus in Hamburg. Unsere Vorstände sind häufiger vor Ort, da es Geschäftsprozesse gibt, bei denen seine Anwesenheit notwendig ist oder ein Vier-Augen-Prinzip gewährt sein muss.

Die Zusammenarbeit in der Krise funktioniert gut. Nicht nur durch unsere IT-Systeme. Durch den Kulturwandel-Prozess, der vor über vier Jahren gestartet wurde, haben die Kolleg*innen rechtzeitig vor Corona gelernt, hierarchiefrei, vernetzt und vertrauensvoll zu kommunizieren und zusammenzuarbeiten. Das hilft jetzt sehr.

Aus Distanz wird Nähe: Teamzugehörigkeit
Um die Teams auch über die räumliche Distanz zusammenzuhalten, haben wir aktuell „Formate“ etabliert, durch die wir alle weiterhin auch persönlich in Kontakt bleiben. Beispielsweise haben wir morgens alle ein gemeinsames Check-In. Wir nutzen Microsoft Teams, um uns zu sehen, und es bleibt den ganzen Tag ein Chatkanal zwischen uns geöffnet. In kleineren Teams hat am Morgen jeder die Möglichkeit, zu drei Fragen etwas zu sagen:

Wie geht es mir?
Was beschäftigt mich gerade?
Was brauche ich heute von Euch, um arbeitsfähig zu sein?

Jeder hat die Freiheit, fachlich zu bleiben oder auch persönlich zu werden. Inzwischen haben wir jeden Tag einen „Zeremonienmeister“ im Team, der den Morgen mit einem YouTube-Song für das Team beginnt und den Abend mit einem anderen Song beendet. Die verschiedenen Musikgeschmäcker verraten auch eine Menge über die Menschen.

Welche Erkenntnis haben Sie daraus gezogen, die Sie anderen Firmen mitgeben wollen?

Home-Office ist anders und es werden Bereiche vermischt, die manche Menschen zuvor strikt getrennt hatten, nämlich Privates und Berufliches. Plötzlich läuft beim Video-Call ein Kind durch das Bild oder die Katze wird für das gesamte Team sichtbar. So werden auch Gespräche zu Themen möglich, die so vorher im Büro nicht sichtbar waren. Das schafft eine neue Nähe. Aber die Krise verändert auch Lebenssituationen und Arbeitsrhythmen der Teammitglieder. Gerade als Führungskraft ist es wichtig, darauf einzugehen und Erwartungen anzusprechen. Dazu zählen auch der Austausch und das Wissen um unterschiedliche, aktuell auch teils sehr ungewöhnliche Arbeitszeiten.

Ein Unternehmen quasi aus dem Home-Office zu managen, ist der Stresstest für die Frage, wie weit Unternehmen technisch und kulturell Remote-Work beherrschen. Uns kommt zugute, dass wir uns als technologiegetriebenes Unternehmen technisch und kulturell schon sehr früh auf eine neue Arbeitswelt eingestellt haben. Alle Meetings des Vorstands, der Krisenstäbe, der Fachkräfte und der Teams laufen derzeit per Videochat. Die gesamte Arbeit läuft mehr oder weniger über Microsoft 365 Teams, das wir bereits vor einem Jahr konzernweit ausgerollt hatten. Das läuft erstaunlich stabil und gut.

Was im Home-Office nicht funktioniert, sind die vielen, „kleinen“ Begegnungen im Büro. Zufälliges Treffen und Austauschen lassen sich digital nicht reproduzieren – oder wir haben noch keinen Weg gefunden. Dadurch ist es schwierig, außerhalb der eigenen Blase Stimmungen und Schwingungen aus anderen Bereichen mitzubekommen. Das Gefühl für die erweiterte Organisation wird diffus.

Es gibt einige Dinge, die wirklich gut sind. Die Geschwindigkeit von Entscheidungen und Priorisierungen hat enorm zugenommen. Die Errungenschaften wollen wir natürlich identifizieren und fragen uns schon heute: ,”Was ist in der Krise besser geworden, was hat gut funktioniert, was überhaupt nicht oder nicht mehr?’ Das, was besser geworden ist, wollen wir unbedingt bewahren. Wie? Wissen wir noch nicht. Doch wir haben es auf dem Schirm!

Einsender

Otto Group
Tobias Krüger
Division Manager Kulturwandel 4.0 (Corporate Culture)

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