Eine Väter-Kultur
Stellen Sie sich vor, Sie wären Gleichstellungsbeauftragter in einem Unternehmen mit einem Männeranteil von 75 Prozent. Um wen kümmern Sie sich mehr: Die Männer oder die Frauen?
Seit Jahren wird die Frage nach der Vereinbarkeit von Beruf und Kindern insbesondere für Führungskräfte leidenschaftlich in Deutschland diskutiert. Politische Reformen wie die Einführung des Elterngeldes werden derweil eher zögerlich angenommen. Unternehmen sehen sich zunehmend mit Vätern konfrontiert, die durch die politischen Rahmenbedingungen die Option auf mehr Familie haben, sich jedoch nur schwer zwischen Job und Familie entscheiden wollen. So nehmen nur etwas mehr als 25% aller jungen Väter eine Auszeit von ihrem Job, um sich um ihr Baby zu kümmern.
Während sich auf der großen gesellschaftlichen Ebene also nur langsam etwas verändert, gehen einzelne Unternehmen das Thema deutlich offensiver an. Ein Beispiel hierfür sind die Bielefelder Stadtwerke. Die Belegschaft des Unternehmens ist zu 75% männlich. Wenn es um das Thema Familienfreundlichkeit geht, müssen die Stadtwerke also mehr über Väter als Mütter nachdenken. Diese Aufgabe nahm das Unternehmen sehr ernst. Die Bielefelder haben ein vorbildliches Arbeitsklima für Männer geschaffen, die Väter werden.
Die Gleichstellungsbeauftragte der Stadtwerke, Karin Schrader, wollte vor einigen Jahren mehr für Väter im Unternehmen tun. Sie holte sich einen der wenigen Organisationsberater ins Unternehmen, die sich mit dem Thema „Vaterschaft und Unternehmen“ näher befasst hatten: Hans-Georg Nelles.
Mit seiner Hilfe stieß die Gleichstellungsbeauftragte einen Prozess im Unternehmen an, den wir als beispielhaft ansehen.
Als erstes wollte Karin Schrader herausfinden, welchen Stellenwert das Thema Vaterschaft in der Belegschaft überhaupt hat. Um das besser beurteilen zu können, initiierten die Stadtwerke den mehrjährigen Prozess „Mit Vätern rechnen“. In der ersten Phase wurden Führungskräfte quer durch alle Hierarchie-Ebenen befragt. Dadurch wollten die Stadtwerke besser verstehen, welche innere Haltung und welches Verhalten die Chefs gegenüber Vätern im Unternehmen an den Tag legten. Dabei war sich das Unternehmen der Bedeutung bewusst, was die innere Haltung der Führungskräfte zum Thema Elternschaft angeht. Gerade unbewusste Denk- und Haltungsmuster der Führungsebene können die ganze Unternehmenskultur prägen – im Guten wie im Schlechten.
Um auch die Väter im Unternehmen besser zu verstehen , wurden in einer zweiten Runde ausgewählte Mitarbeiter mit Kind befragt. Hierbei ging es vor allem darum, welche Erfahrungen diese Befragten mit dem Thema Vaterschaft gemacht hatten und welchen Herausforderungen man sich als Vater in den Stadtwerken besonders stellen muss.
Interessanterweise kamen 82 % aller Befragten zu dem Ergebnis, dass es einen positiven Zusammenhang zwischen Vaterschaft und beruflicher Leistung gäbe. Führungskräfte schätzen die wachsenden Kompetenzen in den Bereichen Zeitmanagement, Empathie und Konfliktfähigkeit bei Vätern. Überraschenderweise sagte eine Mehrzahl der Führungskräfte auch, dass sie Väter als flexibler und mobiler erlebten als deren kinderlose Kollegen.
Diese Ergebnisse wurden allen wichtigen Gremien zugänglich gemacht: Betriebsrat, Geschäftsführung, Führungskräften und – zu einem späteren Zeitpunkt – auch allen Mitarbeitern per Broschüre.
Im dritten Schritt initiierten die Bielefelder Stadtwerke insgesamt 18 Workshops mit Führungskräften und Vätern. Hier ging es um die Fragen, welche Möglichkeiten Führungskräfte und die Väter im Unternehmen nutzen könnten, das Thema „Vaterschaft und Beruf“ im Unternehmen tiefer und besser zu verankern.
Die Konsequenz dieser Aktivitäten sind spürbar: Inzwischen sprechen Väter Ihren Wunsch nach Elternzeit offen und rechtzeitig an. Vor dem Prozess war das eher eine Seltenheit. Es ist inzwischen auch nicht ungewöhnlich, dass manche Väter für einen längeren Zeitraum als 2 Monate in Elternzeit gehen – frei von der Befürchtung, dass dies negative Konsequenzen für sie haben könnte.
Heute sind sich Betriebsrat und Personalabteilung einig: Die familienfreundlichen Strukturen der Stadtwerke Bielefeld sind ein klarere Vorteil für das Unternehmen. So ist der Leiter des Debitorenmanagements beispielsweise ganz bewusst zu den Stadtwerken gewechselt,, als er eine Familie gründen wollte. Auch andere Fachkräfte lassen höherbezahlte Jobs bei internationalen Konzernen hinter sich, um für geringeres Gehalt die familienfreundlichen Strukturen der Stadtwerke für sich zu nutzen. So haben sie in der ersten Phase der Vaterzeit die Möglichkeit, auf eine 30-Stunden-Woche zu reduzieren und so mehr Zeit für den Nachwuchs zu haben.
Uns gefällt der Ansatz der Bielefelder Stadtwerke gut, da er dem steigenden Bedürnis nach Familienleben vieler Familienväter gerecht wird. Dadurch reduziert sich ein etwaiger Wertekonflikt zwischen Familie und Beruf der männlichen Führungskräfte. Zugleich zeigt das Beispiel auf, dass ein Wettbewerbsvorteil für das Unternehmen entstehen kann, wenn hochqualifizierte Kräfte trotz geringerer Bezahlung zu den väterbewussten Stadtwerken Bielefeld wechseln.