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VIESSMANN | Markus Pfuhl

Viessmann | Markus PfuhlMarkus Pfuhl ist Chief Digital Officer (CDO) bei der Viessmann Group. Er begann den digitalen Wandel bereits in seiner früheren Rolle als Leiter der Unternehmensentwicklung zu begleiten. Markus Pfuhl ist der Dritte, der die CDO-Rolle innehat: Der erste war im Jahr 2015 der ehemalige CFO, Joachim Janssen, der also CDO eine digitale Agenda und erste digitale Produkte entwarf und sich so auf seine Rolle als Co-CEO des Unternehmens vorbereiten konnte. Maximilian Viessmann übernahm den CDO-Hut im Jahr 2016 und begann in einer „kompromisslosen Aufbauphase“, wie er sie nennt, das Unternehmen noch mehr auf die digitale Welt vorzubereiten. Maximilian baute 2017 VC/O, eine Schwesterfirma des Unternehmens auf, die sich um die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle kümmert. Seit Januar 2018 ist er als Co-CEO verantwortlich für das Kerngeschäft der Viessmann Gruppe.

Das Familienunternehmen sitzt in Allendorf und beschäftigt weltweit 12.000 Mitarbeitende. In den Vorbereitungen für das Buch Digitalisieren mit Hirn war Markus Pfuhl einer von mehreren Gesprächspartnern, um Viessmans interessanten digitalen Wandel besser zu verstehen. Wir haben ihn nun noch ein weiteres Mal gesprochen, um den kulturellen Wandel des Unternehmens besser zu verstehen.

Viessmann | Markus PfuhlMarkus Pfuhl ist Chief Digital Officer (CDO) bei der Viessmann Group. Er begann den digitalen Wandel bereits in seiner früheren Rolle als Leiter der Unternehmensentwicklung zu begleiten. Markus Pfuhl ist der Dritte, der die CDO-Rolle innehat: Der erste war im Jahr 2015 der ehemalige CFO, Joachim Janssen, der also CDO eine digitale Agenda und erste digitale Produkte entwarf und sich so auf seine Rolle als Co-CEO des Unternehmens vorbereiten konnte. Maximilian Viessmann übernahm den CDO-Hut im Jahr 2016 und begann in einer „kompromisslosen Aufbauphase“, wie er sie nennt, das Unternehmen noch mehr auf die digitale Welt vorzubereiten. Maximilian baute 2017 VC/O, eine Schwesterfirma des Unternehmens auf, die sich um die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle kümmert. Seit Januar 2018 ist er als Co-CEO verantwortlich für das Kerngeschäft der Viessmann Gruppe.

Das Familienunternehmen sitzt in Allendorf und beschäftigt weltweit 12.000 Mitarbeitende. In den Vorbereitungen für das Buch Digitalisieren mit Hirn war Markus Pfuhl einer von mehreren Gesprächspartnern, um Viessmans interessanten digitalen Wandel besser zu verstehen. Wir haben ihn nun noch ein weiteres Mal gesprochen, um den kulturellen Wandel des Unternehmens besser zu verstehen.

Sebastian Purps-Pardigol: Wann und wodurch wurde bei Viessmann das Thema des Kulturwandels initiiert?

Markus Pfuhl: Wir haben im Jahr 2015 begonnen, uns mit dem Thema Digitalisierung zu beschäftigen. In dem Zusammenhang war klar, dass das kein technisches oder marktstrategisches Thema wird, sondern etwas Grundlegendes. Wir müssen die Art und Weise, wie wir arbeiten – und damit auch unsere Kultur – komplett ändern. Unsere Erkenntnis damals: Wenn wir die sehr hohe Änderungsgeschwindigkeit, die von außen vorgegeben ist, selbst aufnehmen wollen, dann müssen wir dringend etwas tun.

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Wir sind zuerst mit kleineren ganz konkreten digitalen Umsetzungsprojekten gestartet.

Sebastian Purps-Pardigol: Als Sie im Jahr 2015 mit der Digitalisierung begannen … fand das zeitgleich mit der Erkenntnis statt, dass ein Kulturwandel damit einhergeht oder kam das zeitverzögert?

Markus Pfuhl: Der Erkenntnisprozess fand zeitgleich statt, die Umsetzung allerdings kam etwas später. Wir sind zuerst mit kleineren ganz konkreten digitalen Umsetzungsprojekten gestartet, zum Beispiel mit der Entwicklung unserer Connectivity-Box, durch die man über das Internet auf unsere Wärmeerzeuger zugreifen kann. Im Frühjahr 2016 sind wir dann in das Thema Kulturwandel eingestiegen.

Sebastian Purps-Pardigol: Wie haben Sie das Thema Kulturwandel konkret angestoßen? 

Markus Pfuhl: Wir haben mit internen Roadshows begonnen, auf denen wir einerseits erklärt haben, was sich derzeit außerhalb unseres Unternehmens in der Welt tut. Wir haben dabei konkret eine Brücke geschlagen, was das für unser Handeln bedeutet. Wir haben erste Mal solche Dinge wie Fehlerkultur – FailFast – oder als Team agieren benannt: „Es ist okay, Dinge auszuprobieren, man muss nicht alles durchplanen und perfekt machen. Das Ergebnis muss zwar perfekt sein, aber nicht jeder Schritt zum Ergebnis.“ Natürlich haben wir das auch immer wieder bei Veranstaltungen der Führungskräfte wiederholt: „Es muss okay sein, Fehler zu machen.“ Natürlich muss man in dem Gesamtkontext immer wieder sagen: „Wir machen Fehler nicht um der Fehler willen, sondern um Dinge auszuprobieren.“ Das war das Hintergrundrauschen, das wir erzeugt haben. Parallel dazu haben wir das erste Mal unsere Unternehmenswerte erweitert. Nach einem Jahr aber haben wir festgestellt, dass es mit einer Erweiterung nicht getan ist, sondern dass wir einen kompletten Umbau der Unternehmenswerte durchführen müssen. Denn diese geben letztlich den kulturellen Rahmen wieder.

Sebastian Purps-Pardigol: Wieviele Unternehmenswerte gab es vorher bei Viessmann, und um wieviele haben Sie sie erweitert? 

Markus Pfuhl: Wir hatten sechs, und wir haben auf acht erweitert – es kamen „agil“ und „unternehmerisch“ hinzu. Bald aber haben wir diese wieder komplett über den Haufen geworfen und stattdessen drei große Unternehmenswerte mit jeweils drei Unterpunkten entwickelt. 

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Wir sind zuerst mit kleineren ganz konkreten digitalen Umsetzungsprojekten gestartet.

Eines der ersten Digital-Projekte: Die Connectivity-Box

 

Sebastian Purps-Pardigol: Wie lange hat die erweiterte Form der Unternehmenswerte überlebt, bis Sie sie komplett über den Haufen geworfen haben?

Markus Pfuhl: Nach einem Jahr haben wir gesagt: Das reicht nicht. Wir wollen Werte haben, mit denen sich jeder identifizieren kann. Wir hatten früher beispielsweise den Unternehmenswert „Komplettprogramm“. Ganz ehrlich: Wie soll man so einen Wert leben? Ich habe mich persönlich immer etwas schwer getan … wie soll ich „komplettprogrammiger“ werden? (lacht).  Also haben wir gesagt: Wir brauchen Adjektive, mit denen jeder arbeiten kann, so wie „Ich will unternehmerischer, ich will agiler werden“.

Sebastian Purps-Pardigol: Wie haben Sie die neuen Unternehmenswerte erarbeitet – geschah das bereits im Geist der neuen Kultur?

Markus Pfuhl: Nein – das geschah noch Top Down. Wir haben sie damals in einem kleineren Kreis erarbeitet: Verwaltungsrat, Unternehmensentwicklung und Organisationsentwicklung …

Sebastian Purps-Pardigol: … Sie waren damals in der Unternehmensentwicklung? 

Markus Pfuhl: Ich war in der Unternehmensentwicklung, ja. Wir haben uns damals zwei bis drei Tage lang eingeschlossen und die Werte erarbeitet. Wir hatten Vorrunden, wir haben an jedem Wort gefeilt und waren ganz stolz. Dann haben wir sie getestet. Also hat sich jeder von uns die erarbeiteten Werte geschnappt, und um die 30 Personen befragt, was sie davon halten. Dabei wurde uns klar gesagt, dass wir uns zwar viel Mühe gemacht hätten, dass aber Mühe alleine nicht reicht, sondern dass die Werte auch (be-)greifbar sein müssen. Dieses Feedback haben wir mitgenommen, es eingearbeitet und danach nochmal eine Schleife gedreht. Letztlich kamen dann die Unternehmenswerte heraus, die wir jetzt haben.

Sebastian Purps-Pardigol: Anstatt alle Mitarbeitenden einzubeziehen hat sich jeder von Ihnen eine Bezugsgruppe von Vertrauten gesucht, die die Werte nochmal in Frage stellen konnten?

Markus Pfuhl: Ja – wir waren 6 Personen und jeder von uns hat 30 Menschen befragt – quer Beet. Uns wurde klar: Auch wenn wir nun bessere Unternehmenswerte haben, machen diese noch keine Kultur. Das Problem mit der Kultur ist wie der berühmte Eisberg: Ganz viel schwebt unter der Wasseroberfläche. Wir mussten anfangen, erste klare Signale zu setzen, damit es mehr als nur einige Werte wurden. Zum Beispiel, als Max (Anm.: Maximilian Viessman) mit seiner Digital Taskforce – dem Team, die zu Beginn die Digitalisierung voran trieb – ganz prominent neben die Kantine in einen Glaskasten eingezogen ist. Insbesondere aber viel Kommunikation über Hierarchien hinweg und quer in die Organisation. Das so typische Duzen und Weglassen von Krawatten war dann eher ein Nebenprodukt.

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Es war immer ganz klar, dass Kultur eine gemeinsame Aufgabe von allen sein muss.

Sebastian Purps-Pardigol: Haben Sie das Thema Kultur explizit benannt? Gab es Jemanden, der den Wandel explizit vorangetrieben hat, oder ist das im Fahrwasser der gesamten digitalen Veränderung mitgelaufen? 

Markus Pfuhl: Wir haben es explizit benannt: „Wir müssen unsere Unternehmenskultur ändern!“ Wir haben nur Niemanden benannt, der es tut. Wir haben bis heute keinen Kulturbeauftragten. Es war immer ganz klar, dass Kultur eine gemeinsame Aufgabe von allen sein muss, die bei diesem Thema mitspielen. Wir sehen es so, dass bei einem Familienunternehmen das Thema Kultur von den Gesellschaftern und der Geschäftsführung sehr aktiv in den Fokus gestellt werden sollte. Ich persönlich fände es ungünstig, einen Kulturwandel-Beauftragten zu benennen … Denn das birgt das Risiko, dass sich dann alle anderen zurücklehnen und sagen: „Schön, dass wir jetzt jemanden haben, der das macht!“ 

Sebastian Purps-Pardigol: Von welchen Protagonisten wird das Thema Kulturwandel bei Viessmann denn dann im Moment vorangetrieben? 

Markus Pfuhl: Von ganz vielen Menschen. Einerseits vom Human Resources-Bereich natürlich – da beschäftigen wir uns stark mit Fragen wie: „Führung“, „Employer Branding“ oder „Wie gehen wir eigentlich miteinander um?“. Ich treibe es voran, indem wir uns mit Themen wie Kundenorientierung und Agilität beschäftigen. Max (Anm: Maximilian Viessman) als Gesellschafter hat sich stark dem Thema Kommunikation gewidmet: Wie kommunizieren wir intern Strategien? Wie kommunizieren wir das, was wir vorhaben, in der Breite, ohne die klassischen hierarchischen Pyramiden zu nutzen? 

Sebastian Purps-Pardigol: Wie gelingt es Ihnen konkret, anders mit Ihren Mitarbeitenden zu kommunizieren?

Markus Pfuhl: Wir haben zum einen eine MobileApp entwickelt: Vi2Go, durch die wir mit unseren Mitarbeitern und diese untereinander sehr gut kommunizieren können. Und wir hatten gestern unser erstes großes „State of the Nation“ Meeting …

Sebastian Purps-Pardigol: Sie haben 12.000 Mitarbeitende … wieviele davon nahmen daran teil?

Markus Pfuhl: Wir haben alle eingeladen! Wir haben es live übertragen: Zum einen hatten wir verschiedene Orte definiert, an die man sich als Gruppe hinsetzen und zuschauen konnte. Es konnte sich aber auch jeder von Unterwegs einloggen. Das ist ein großer Schritt für ein Familienunternehmen …  es ist keine Betriebsversammlung – klar, die gab’s schon immer – sondern einfach mal ein ganz anderes Format.

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Es war immer ganz klar, dass Kultur eine gemeinsame Aufgabe von allen sein muss.

Das erste State Of Nation-Meeting: „Man kann der Wert von Kultur nicht bepreisen“.

 

Sebastian Purps-Pardigol: Worüber wurde gesprochen in dem State Of Nation Meeting? 

Markus Pfuhl: Das Hauptthema war: Was ist unser Ziel? Wozu sind wir als Viessmann-Gruppe da? Was ist unsere Existenzberechtigung in der sich verändernden Welt? Wir wollten eine Brücke schlagen zu den Dingen, die wir „Building Blocks“ nennen: Leadership und die Art und Weise der Zusammenarbeit. Unsere beiden CEOs haben gesprochen. 30 Minuten Vortrag, 30 Minuten Fragen. Wir werden das jetzt regelmäßig im Vier-Wochen-Takt wiederholen, mit tiefer gehenden Themen. Wir wollen über Dinge sprechen wie: Was verstehen wir unter agiler Arbeit? Vielleicht sprechen wir auch einfach mal über die ganze Branche.

Sebastian Purps-Pardigol: Was ist der Unterschied zwischen dem, was Viessmann bisher gemacht hat? Sie hatten ja über die Mobile-App Vi2Go und durch Videos von Martin Viessmann auch vorher schon die Möglichkeit, viele Menschen zu erreichen.

Markus Pfuhl: Bei den State Of Nation Meetings ist immer der komplette Vorstand anwesend – und es wird an das gesamte Unternehmen gleichzeitig kommuniziert. Das hat eine andere Wirkung. Die Vi2Go-App und auch die wöchentlich stattfindenden Q&A-Sessions, in denen immer einer von uns über ein Thema spricht und die auch gestreamt werden, sind wunderbar, um tief und sehr spezifische Inhalte zu vermitteln. Die State Of Nation Meetings haben auch emotional eine ganz andere Wirkung.

Sebastian Purps-Pardigol: Es kann also sein, dass ein Mitarbeitender irgendwo fernab der Zentrale sitzt, sich das State Of Nation Meeting anschaut und über den Computer oder das Handy eine Frage rüberschickt?

Markus Pfuhl: Wir haben gerade gestern diese wunderbare Situation gehabt. Eine Kollegin aus der Türkei hat eine Frage eingegeben, die dann live beantwortet wurde.

Sebastian Purps-Pardigol: Einmal pro Monat wird die gesamte Organisation für eine Stunde still stehen gelassen? Wow …

Markus Pfuhl: Wenn man das in Kosten umrechnet, dann ist das immens. Aber das darf man nicht tun, man kann den Wert von Kultur nicht bepreisen.

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Wir brauchen eine neue Kultur, die die gesamte Organisation in die Lage versetzt, sehr schnell zu reagieren.

Sebastian Purps-Pardigol: Warum macht Viessmann sowas? Das haben Sie vor zwei, fünf und zehn Jahren doch auch nicht gemacht! Was würde verloren gehen, wenn Sie das nicht täten? 

Markus Pfuhl: Vor längerer Zeit haben ich einen Vortrag über die Frage gehalten: „Warum brauchen wir überhaupt einen Kulturwandel?“ Dazu habe ich ein Foto von einem wunderschönen Auto gezeigt, mit dem bin ich einmal durch Island gefahren. Dieses Auto war superbequem, es hatte Allradantrieb, aber es war kein echter Geländewagen. Über 2000 Kilometer hat die Reise damit super funktioniert. Dann aber stand ich vor einem Schild, das mir anzeigte, dass ich durch einen Bach fahren sollte – und das ging mit diesem Auto nicht. Das Auto ist dadurch nicht schlechter geworden. Aber für das, was ich damit vorhatte, war es das falsche Auto. Genauso war es mit unserer Kultur: Die war 100 Jahre lang super-erfolgreich, in denen sich das Unternehmen von einem Handwerksbetrieb zu einem Milliarden-Unternehmen entwickelt hat. Aber jetzt stehen wir vor diesem Schild, das uns anzeigt, dass wir durch einen Fluss fahren müssen. Wir stehen vor einer Welt, die sich unglaublich schnell verändert. Zum ersten Mal können die Alten von den Jungen lernen. Wir haben eine unglaubliche Knappheit an Talenten, und die Geschwindigkeit der Veränderung beschleunigt sich immer mehr. Da funktioniert es nicht, wenn wir mit dieser 100-jährigen Kultur arbeiten. Nicht weil sie schlechter ist, sondern weil sie einfach nicht mehr zu dem passt, was wir vorhaben. Wir brauchen eine neue Kultur, die die gesamte Organisation in die Lage versetzt, sehr schnell zu reagieren. Dazu braucht man eine breite Informationsbasis. Jeder muss wissen, was gerade passiert. Wir brauchen ein Purpose (großes Unternehmensziel), an dem wir gemeinsam arbeiten.

Sebastian Purps-Pardigol: Was kommuniziert Viessmann denn als Purpose (Unternehmensziel)?

Markus Pfuhl: „We create living spaces for generations to come“, ist unsere Kernbotschaft. Sie ist sehr stark durch den Klimawandel getrieben. Wir überlegen, wie wir die Menschen unterstützen können CO2 einzusparen. Damit wir diesen Planeten nicht verlassen müssen, sondern dableiben können. Von da aus kann man den Rest leicht runterbrechen: Unternehmensziele, Strategie, Vision. Und daran die Einzelaufgaben für jeden ableiten.

Sebastian Purps-Pardigol: Wie ist dieser Purpose entstanden, in welcher Gruppe von Menschen? Wer hat ihn erarbeitet?

Markus Pfuhl: Das war kein gesteuerter Prozess. Max (Anm.: Maximilian Viessmann) hat eine Gruppe von Leuten aus ganz verschiedenen Bereichen zusammengestellt, dann haben wir gemeinsam darüber gesprochen, noch zwei oder drei Runden gedreht, und dann gesagt: Jetzt passt es. Dabei war es so naheliegend. Für ein Unternehmen, das sich mit Energie beschäftigt, ist die Bewahrung der Schöpfung naheliegend.

Sebastian Purps-Pardigol: Das ist naheliegend. Dennoch glaube ich nicht, das E.ON oder Vattenfall die gleichen Purpose-Ergebnisse hätten, wenn sie daran arbeiten würden … (beide lachen) Welche bewussten oder unbewussten Widerstände haben Sie auf dem Weg des Kulturwandels bemerkt? 

Markus Pfuhl: Für viele Führungskräfte ist der Umgang mit Informationen sicherlich eine spannende Herausforderung. Wenn man jahrelang über die Pyramide kommuniziert hat und plötzlich Informationen für alle zugänglich machen soll, dann verliert man seinen Informationsvorsprung. Und das macht eine gewisse Schwierigkeit. 

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Wir brauchen eine neue Kultur, die die gesamte Organisation in die Lage versetzt, sehr schnell zu reagieren.

Hat sich ein Jahr lang jede Woche vor seine Mitarbeitenden gestellt, um über den Wandel im Unternehmen zu sprechen: Maximilian Viessmann

 

Sebastian Purps-Pardigol: Maximilian Viessmann hat uns einmal erzählt, dass eigentlich alles, was auf seinem Rechner ist, für alle zugänglich sei. Was hat sich bei Viessmann an Transparenz und Information verändert? Was ist plötzlich zugänglich, das vorher nicht zugänglich war?

Markus Pfuhl: Konkretes Beispiel: Ich habe jetzt mit meiner CDO-Orga die Ziele festgelegt und habe die einmal komplett mit dem Board geteilt. Mit allen Kollegen, die da sind. Ich hätte auch keinen Schmerz damit, dies der Organisation zur Verfügung zu stellen.Und so agiert Max auch mit seinen Informationen: Da ist nichts verschlossen. Oder ein viel schöneres Beispiel: Wir haben diese Collaboration Meetings, in denen die Projekt-Teams eine Plattform haben, zu sagen, was sie gemacht haben und wo sie Widerstände erleben. Es gibt einen öffentlichen Kalender, in dem steht für alle zugänglich drin, wann diese Meetings stattfinden, und dass alle eingeladen sind. In 10 bis 20 Minuten wird da gesagt: Wo stehen wir? Was haben wir gemacht und geschafft? Was sind Dinge, die uns im Weg sind, und wer kann uns helfen, sie beiseite zu räumen? Jeder, der sich dafür interessiert, woran andere gerade arbeiten, kann sich einfach in diese Meetings dazu setzen.

Sebastian Purps-Pardigol: Sie haben gesagt, für einige Führungskräfte sei es schwierig, anders mit Informationen umzugehen. Wie geht Ihr mittleres Management mit diesen Veränderungen um, und wie gelingt es Ihnen, die Menschen dazu zu bekommen, diesen Weg mitzugehen? 

Markus Pfuhl: Ich sehe da keinen offenen Widerstand – was nicht heißt, dass die Wiese total grün ist. Aber es gibt niemanden, der sich total sperrt. Die einen tun sich schwerer damit als die anderen. Ich glaube, sowohl beim Thema Kulturwandel als auch bei der Digitalisierung gelingt es uns gut, das Ganze mit einem positiven Ausgang zu verbinden: “Wir hatten 100 Jahre eine gute Kultur. Und, liebe Führungskräfte, ihr habt in den letzten 10 bis 15 Jahre perfekt in dieser Kultur gearbeitet. Wir wissen, dass wir viel verlangen, wenn Ihr jetzt ganz anders arbeiten sollt. Aber wir nehmen uns nicht aus, allen voran die Familie als Spitze des Unternehmens.“ Diese positive Konnotation hilft natürlich, all sowas mitzumachen. 

Wir führen Feedback-Runden mit den Mitarbeitenden ein, wir fragen „Wie fühlt ihr euch gewertschätzt? Wovor habt ihr Angst? Was stört euch? Was gefällt euch?“ Wir begleiten die Führungskräfte, und sagen nicht: „Du hast kein gutes Ergebnis, es war schön mit dir. Auf Wiedersehen!“  Sondern wir sagen: „Okay, da gibt es wohl was zu tun. Lass uns mal ein Meeting im Team zusammen machen. Wie können wir helfen, dass das besser wird?“

Sebastian Purps-Pardigol: Wie oft werden sie umgesetzt?

Markus Pfuhl: An meinem Beispiel: Im Vier-Wochen-Rhythmus bekommen alle Menschen in meinem Bereich einen Online-Fragebogen. Hinterher hat man eine Zeitreihe und sieht, wie sich das entwickelt. Wir machen mindestens einmal im Quartal eine Feedback-Runde mit allen, wo man auch mal sagt: „So ist das gelaufen. Warum ist das so, und was können wir gemeinsam besser machen?“ Wir sind uns noch nicht sicher, ob vier Wochen der richtige Rhythmus ist. Wir starten jetzt mal so. Früher hätten wir lange darüber nachgedacht, wie das Konzept dazu aussieht. Heute probiert man es einfach nochmal. 

Sebastian Purps-Pardigol: Was geschieht, wenn Sie Führungskräfte erleben, die mit der neuen Kultur nicht mitgehen möchten … passen die dann auch nicht mehr in Ihr Unternehmen? 

Markus Pfuhl: Das ist der Punkt, an dem wir arbeiten müssen. Deswegen werden wir sehr stark in Führungskräfte-Entwicklung investieren. Wir verlangen ja nicht, dass jemand fliegen lernt. Ja, es ist eine Veränderung, aber es ist etwas, das man trainieren kann. Ich muss halt dran glauben, dass das Trainieren dieser Dinge mir auch was bringt. Wir schauen sehr genau darauf, wer wo Verbesserungsbedarf hat. Dort setzen wir an und helfen, diese Verbesserungen zu fördern.

Markus Pfuhl beim Digital Strategy Meeting im August 2017 

 

Sebastian Purps-Pardigol: Meine Erfahrung der letzten Jahre in Unternehmen ist, dass es bei der Führungskräfte-Entwicklung gar nicht mehr so sehr um die Vermittlung von Methoden geht, sondern vielmehr um eine Arbeit an der Haltung.

Markus Pfuhl: Na klar, definitiv. Natürlich kann ich den Leuten beibringen, wie sie einen Bewertungsbogen ausfüllen. Aber Neugier an dem, was meine Mitarbeiter an Ideen haben oder wie Mitarbeiter was anders machen wollen, ist kein Tool, das ist eine Grundhaltung gegenüber den Mitarbeitern. Zu sagen: Prinzipiell weiß der Kollege mindestens genauso viel wie ich, und er kann mindestens genauso gute Ideen haben, oft sogar bessere als ich. Mein Job als Führungskraft ist es, diese Ideen aufzunehmen und helfen, sie zum Ergebnis zu bringen.

Sebastian Purps-Pardigol: Wie gelingt es Ihnen, Haltungen und Persönlichkeiten von Führungskräften zu entwickeln? 

Markus Pfuhl: Das fragen wir uns auch. Wir sind gerade dabei, Camps zu designen, in denen wir genau sowas machen wollen. Wenn wir sowas wie „unternehmerisch“ sagen, was meinen wir überhaupt damit? Man muss eine Selbstreflektionsebene bei diesen Menschen anstoßen: „Ah, was ich gerade gemacht habe, war jetzt nicht so super-unternehmerisch.“ Sie sollen sich sagen: „Okay, wir hätten das anders machen können.“ Sowas kann man nicht herunterdozieren, das funktioniert nicht.

Sebastian Purps-Pardigol: Das ist auch meine Erfahrung. Den größten Unterschied macht es, wenn Führungskräfte allein durch die Teamdynamik mit anderen Führungskräften, aber auch durch gemeinsame Aufgaben an ihre Grenzen kommen. Wenn sie in intensiven Situationen nicht anders können als über sich hinauszuwachsen …

Markus Pfuhl: … Selbsterkenntnis ist einfach unglaublich wichtig. Sonst hat einem immer jemand anderer gesagt hat, was man tun soll. Es ist ein Unterschied, ob ich mir etwas angewöhne, weil ich daran glaube, oder ob ich denke: „Puh, ich muss das jetzt machen.“ Und wenn keiner hinguckt, dann mache ich es doch wieder anders.

Sebastian Purps-Pardigol: Wie bewusst nutzen Sie das Element der Mitgestaltung während des Wandels? 

Markus Pfuhl: Sehr bewusst und sehr viel. Es gibt viele Initiativen, an denen Mitarbeitrer mitgestalten können, dazu gehören auch die State Of Nation Meetings. Das schafft natürlich eine Einbeziehung, die wir vorher nicht hatten. Dadurch entsteht eine Verbundenheit zum Unternehmen und zur Familie Viessmann, die noch höher ist als sie zuvor schon war. Jetzt erleben wir zudem die Gesellschafterfamilie, mit der immer Verbundenheit bestehen kann, da sie vor Ort und greifbar ist, und darüber hinaus eine inhaltliche Brücke zu dem zu schlägt, was wir tun.

Markus Pfuhl beim Digital Strategy Meeting im August 2017 

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Wieviel entgeht dir dadurch, wenn Du weiterhin so agierst wie bisher?

 

Sebastian Purps-Pardigol: Was wird dadurch möglich, dass die Verbundenheit steigt? 

Markus Pfuhl: Je schwächer die Verbundenheit ist, desto schwieriger ist es, auch mal harte Zeiten zu überstehen. Mit hoher Verbundenheit steigt die Bereitschaft, außergewöhnliche Ziele zu erreichen. Menschen, die für eine Sache brennen und mit dem Unternehmen eng verbunden sind, erzielen ganz andere Ergebnisse.

Sebastian Purps-Pardigol: Wie wird sich aus Ihrer Sicht die Rolle der Führungskräfte – insbesondere der mittleren Ebene –  im Laufe der digitalen Transformation und des damit einhergehenden Kulturwandels ändern?

Markus Pfuhl: Ein Teamleiter wird nicht mehr derjenige sein, der sagt, was gemacht werden muss, sondern er wird ein Pool von Talenten leiten, die für eine gewisse Zeit an Produkten arbeiten. Er wird dafür zuständig sein, dass diese Teams sich vernünftig weiterentwickeln, dass sie die notwendigen Fähigkeiten besitzen und mit den richtigen Methoden arbeiten. Und der „Product Owner“  wird derjenige sein, der tages- oder wochengenau schaut, was die Kollegen gemacht haben. An diesen großen Veränderungsprozess müssen wir uns jetzt begeben. Langweilig wird uns nicht werden …

Sebastian Purps-Pardigol: Wie ist es Ihnen bisher gelungen, dass in den Führungskräften das Vertrauen darin entsteht, dass in den Mitarbeitern richtig viel drinsteckt?

Markus Pfuhl: Ich glaube, das war bei uns auch früher schon gar nicht so schlecht. Unsere Teamleiter sind sehr eng mit ihren Mitarbeitern verwoben und wissen sehr gut, was jeder einzelne kann. Vorgesetzte, die an ihrer eigenen Hybris scheitern, weil sie sich selbst für besser halten als alle anderen, sind bei uns Einzelfälle. Bei denen helfen nur Gespräche, Trainings und noch mehr Gespräche. Man muss bei ihnen einen Selbsterkenntnisprozess anstoßen: „Wieviel entgeht Dir dadurch, wenn Du weiterhin so agierst wie bisher …“.