Otto Group | Tobias Krüger
Tobias Krüger ist Bereichsleiter Kulturwandel 4.0 bei der Otto Group und berichtet an CEO Alexander Birken. Aus seiner früheren Position in der Konzernstrategie heraus empfahl er dem Vorstand, einen Kulturwandelprozess zu initiieren, um die aktuellen wirtschaftlichen Herausforderungen der Unternehmensgruppe zu meistern. Er begleitete als Mitarbeitender die Abwicklung von Arcandor – eine Erfahrung die er nie wieder machen will, und die ihn antreibt, seinen Job besonders gut zu machen.
Als wichtiger interner Treiber eines Kulturwandelprozesses hat er eine recht seltene Position in Deutschland: Da er aus einer Holding-Ebene heraus agiert, orchestrieren sein siebenköpfiges Team und er die Prozesse der Dutzenden von Tochterunternnehmen. Er selbst leitet diese Prozesse inzwischen nicht mehr, sondern hilft seinen Kollegen in den Tochterunternehmen, damit diese den Wandel eigenständig umsetzen können.
Die Otto Group beschäftigt weltweit 50.000 Mitarbeitende, betreibt über 100 Onlineshops und erwirtschaftet einen Umsatz von mehr als 12 Milliarden Euro. In den Vorbereitungen für das Buch Digitalisieren mit Hirn sprachen wir mit vielen Protagonisten des Wandels bei Otto – unter anderem mit dem Vorstandsvorsitzenden Alexander Birken. In Vorbereitung zu all diesen Treffen sind wir immer wieder auf die Arbeit von Tobias Krüger aufmerksam geworden.
Achtzehn Monate nach dem Gespräch, das Sie hier lesen werden, entstand ein Weiteres, das wir gefilmt haben. Dieses neue können Sie hier anschauen.
Tobias Krüger ist Bereichsleiter Kulturwandel 4.0 bei der Otto Group und berichtet an CEO Alexander Birken. Aus seiner früheren Position in der Konzernstrategie heraus empfahl er dem Vorstand, einen Kulturwandelprozess zu initiieren, um die aktuellen wirtschaftlichen Herausforderungen der Unternehmensgruppe zu meistern. Er begleitete als Mitarbeitender die Abwicklung von Arcandor – eine Erfahrung die er nie wieder machen will, und die ihn antreibt, seinen Job besonders Gut zu machen.
Als wichtiger interner Treiber eines Kulturwandelprozesses hat er eine recht seltene Position in Deutschland: Da er aus einer Holding-Ebene heraus agiert, orchestrieren sein siebenköpfiges Team und er die Prozesse der Dutzenden von Tochterunternnehmen. Er selbst leitet diese Prozesse inzwischen nicht mehr, sondern hilft seinen Kollegen in den Tochterunternehmen, damit diese den Wandel eigenständig umsetzen können.
Die Otto Group beschäftigt weltweit 50.000 Mitarbeitende, betreibt über 100 Onlineshops und erwirtschaftet einen Umsatz von mehr als 12 Milliarden Euro. In den Vorbereitungen für das Buch Digitalisieren mit Hirn sprachen wir mit vielen Protagonisten des Wandels bei Otto – unter anderem mit dem Vorstandsvorsitzenden Alexander Birken. In Vorbereitung zu all diesen Treffen sind wir immer wieder auf die Arbeit von Tobias Krüger aufmerksam geworden.
Achtzehn Monate nach dem Gespräch, das Sie hier lesen werden, entstand ein Weiteres, das wir gefilmt haben. Dieses neue können Sie hier anschauen.
Sebastian Purps-Pardigol: Wann hat der Kulturwandel in der Otto Group begonnen und wer hat ihn initiiert?
Tobias Krüger: Es ist hilfreich zu erklären, wo unser Kulturwandel entstanden ist, um den Prozess besser zu verstehen: Ausgangspunkt für den Kulturwandel 4.0 in der Otto Group ist im ersten Schritt eine rein wirtschaftliche Betrachtung gewesen. Im Geschäftsjahr 2014/15 haben wir erstmals auf Holding-Ebene einen Verlust von 192 Millionen Euro erwirtschaftet. Ich bin damals in der Konzernstrategie gewesen und unser Strategievorstand Dr. Rainer Hillebrand hat gesagt: „So, ihr Strategen, jetzt überlegt euch mal, warum wir denn so viel Geld verloren haben! Und was tun wir, damit uns das nicht nochmal passiert?“ Zu Beginn haben wir tatsächlich ganz klassisch analysiert. Wir setzten ein Strategieprojekt auf, wir schauten uns unsere Assets an, wie gut diese performt haben, und wo eigentlich die Verluste entstanden sind. Ich muss ehrlicherweise sagen, dass ich mich ein bisschen über diesen Auftrag geärgert habe, da ich dachte: „Das Board wird doch im Zweifel besser wissen, warum irgendwelche Assets nicht funktioniert haben, als wir.“
Unser Ergebnis war ein 30-Seiten-Dokument. Dann haben wir eine Seite hinzugefügt, die zum Ursprung des Kulturwandels wurde. Wir haben gesagt: „Die harten Fakten kennt ihr wahrscheinlich besser als wir: Der Turnaround in den USA, die Russlandkrise mit dem Einmarsch in die Krim – und alles bricht zusammen … Das sind Riesenthemen. Aber das Hauptproblem ist, dass wir es nicht schaffen, das Potenzial der Gruppe zu heben.“ Wir haben sechs Thesen aufgestellt, warum wir glauben, dass es nicht funktioniert: Zu viel Bürokratie, zu viele Silos, zu langsam, zu wenig agil, zu komplex und so weiter. Mit dem Dokument ist Rainer Hillebrand in das Board gegangen und hat verkündet: „Jetzt haben wir die Fakten verstanden, aber die Strategen sagen, dass es eigentlich ein Kulturthema ist.“
Aus dieser Logik ist der Kulturwandel geboren. Deswegen wird dieser bei uns auch bis heute sehr strategisch gedacht. 123 Unternehmen, drei Kontinente, über 50.000 Mitarbeiter, drei wesentliche Geschäftsfelder Multichannel-Einzelhandel, Service und Finanzdienstleistung: Wenn man darauf schaut, kann man relativ schnell bemerken, dass wir in der Breite der Assets und in der Art der Assets, die wir haben, eine ganz besondere Position im Markt einnehmen. Es gibt neben Alibaba eigentlich niemanden, der in der Wertschöpfung diese Kompetenzen mitbringt. Und trotzdem schaffen wir es nicht, daraus so viele kompetitive Vorteile zu generieren, dass wir unangreifbar sind.
Es scheitert nicht an der Kognition, sondern an unseren Herzen.
Sebastian Purps-Pardigol: Woran haben Sie in der Strategieabteilung erkannt, dass die gerade benannten Potenziale der Gruppe nicht so gehoben werden, wie sie gehoben werden könnten?
Tobias Krüger: Wir bearbeiten pro Jahr in der Konzernstrategie zwischen 20 und 25 strategische Projekte: Transaktionen wie Merger & Acquisitions, Restrukturierungen, Business Development und so weiter. Dabei kommt man relativ schnell an den Punkt, dass man immer wieder bemerkt, dass alle Leute im Grunde kognitiv verstehen, was es zu tun gibt. Es ist jedoch sehr einfach zu sagen: „Es macht Sinn, dass wir beide jetzt beispielsweise unser Rechnungswesen zusammenlegen, dann sparen wir eine Menge Geld.“ Es scheitert aber nicht an der Kognition, sondern an unseren Herzen. Denn genau die gleichen Menschen sind dann wiederum nicht bereit, eigene Mitarbeiter und damit auch gefühlte Macht abzugeben.
Wir haben also unsere sechs Thesen genommen und mit etwas mehr als 200 Kolleginnen und Kollegen verprobt. Wir fragten: „Was stört dich? Was würdest du besser machen wollen, wenn du es könntest?“ Viele der Antworten bestätigten, was wir vermuteten.
Es scheitert nicht an der Kognition, sondern an unseren Herzen.
Benjamin Otto beim Kickoff
Sebastian Purps-Pardigol: Wie lange hat es gedauert, bis das Thema des Kulturwandels vom Vorstand aufgegriffen wurde?
Tobias Krüger: Es hat schon ein bisschen Zeit gekostet. Zum einen hatten wir eine schwierige Geschäftssituation durch den ökonomischen Druck. Zum anderen kam mit Benjamin Otto ein gestaltender Gesellschafter mit in den Aufsichtsrat. Wir haben ein Jahr lang mit dem Thema immer wieder pitchen müssen. Wir hätten in diesem frühen Stadium an tausend Ecken aus der Kurve fallen können. Aber wir hatten letztendlich immer das Glück, in bestimmten Situationen Entscheider zu haben, die uns das Vertrauen schenkten zu sagen: „Macht nochmal weiter, guckt nochmal hierhin, macht nochmal dies, macht nochmal das.“ Dadurch ist es irgendwie gereift. Ich bin mir sehr sicher: Wenn damals alle gewusst hätten, was das an Arbeit für alle Beteiligten bedeutet, hätten sich einige Personen nicht darauf eingelassen.
Sebastian Purps-Pardigol: Gab es dann diesen einen besonderen Moment, zu dem gesagt wurde: „Ja, wir beginnen den Kulturwandel?“
Tobias Krüger: Ja, den gab es tatsächlich! Ende des Jahres 2015 hat die Familie Otto verkündet, für sich erkannt zu haben, dass der Kulturwandel ein strategisches Handlungsfeld ist. Im Sinne von: „Wenn wir die Digitalisierung meistern möchten, müssen wir diese Ebene mit bespielen.“ Am 4. Dezember 2015 gab es dann den großen Kickoff.
Das war tatsächlich ganz spannend, weil zum ersten Mal in der Geschichte der Otto Group der Shareholder – also Dr. Michael Otto mit Benjamin Otto – zusammen mit dem gesamten Vorstand in einem Raum stand und sagte: „So, wir wollen das jetzt machen.“ Auch da haben wir mit Mustern gebrochen, denn in dieses Forum passen zufälligerweise genauso viele Menschen wie wir Geschäftsführer haben. Typischerweise sprechen auch nur Geschäftsführer mit diesem Kreis. Wir haben das dieses Mal proportional unter allen Mitarbeitern verlost und den Rest in die Organisation gestreamt. Bereits das sorgte für viele Irritationen. Ich habe noch nie so viele aufgeregte Emails und Telefonate wie nach dieser Einladung erhalten. Entweder meldeten sich Geschäftsführer, die sagten: „Sag mal spinnst du, Krüger? Ich bin nicht eingeladen, aber der und der Mitarbeiter von mir?“ Oder es meldeten sich Mitarbeiter: „Da muss ein Fehler sein, denn ich werde von der Otto-Familie eingeladen, dabei bin doch nur ein einfacher Mitarbeiter.“ Ich sagte: „Doch doch, wir wollen dich aber haben, weil du Teil davon bist.“
Benjamin Otto beim Kickoff
Sag mal spinnst du, Krüger? Ich bin nicht eingeladen, aber meine Mitarbeiter?
Sebastian Purps-Pardigol: Das heißt, Sie haben in dem Moment bereits begonnen die Hierarchien aufzubrechen?
Tobias Krüger: Ja, wir haben sehr schnell gemerkt, dass wir überhaupt nur dann eine Chance haben, diesen Prozess zu starten, wenn wir es schaffen, mehr Perspektiven reinzukriegen. Diese Mehrperspektivität entsteht durch Hierarchieüberschnitt, sie entsteht aber auch durch Überschnitt an Alter und Regionalität. Wir wollten einen Dialog darüber starten, wie dieser Weg aussehen kann.
Wenn ich so zurückblicke, wirkt es so, als habe alles gut geklappt und sei super-erfolgreich gewesen. Dabei sind nur zehn Prozent, die funktioniert haben. Die restlichen 90 Prozent aus Blut, Schweiß und Tränen sieht man nicht. Wir waren eine absolute Laienspielertruppe, wir haben alle keine Ahnung gehabt: Weder das Board noch der Gesellschafter noch ich als Person noch mein Team oder alle anderen handelnden Akteure. Wir konnten überhaupt nicht abschätzen oder voraussehen, was „Kulturwandel“ überhaupt bedeutet. Das ist es auch, was ich besonders mutig fand: Der Gesellschafter und das Board haben gesagt: „Wir stellen uns diesem Prozess, und wir schauen mal, was passiert. Denn wir haben erkannt, dass die ökonomischen Kosten des Nichtstuns zukünftig höher sein werden als wenn wir jetzt aktiv werden … selbst wenn wir nicht genau wissen, wo die Reise hingeht.“
Sebastian Purps-Pardigol: Was hat Sie dabei geleitet … war es eine „weg von“ oder eine „hin zu“-Bewegung?
Tobias Krüger: Es war eine „hin zu“-Bewegung, auf jeden Fall!
Sebastian Purps-Pardigol: Wohin?
Tobias Krüger: Hin zu dem „Paradies der Digitalisierung“ (lacht). Wir haben auf der Werteebene klar definiert: Wir wollen gemeinsame Maßstäbe setzen, kundenzentrierter agieren, einen bestimmten technologischen Anspruch haben. Wir haben, das darf man aber nicht vergessen, den Prozess auch aus ökonomischen Druck begonnen: Wenn wir nichts tun, dann wird das Unternehmen nicht überleben.
Sebastian Purps-Pardigol: Das war Ihr Pitch in die Mannschaft in der ersten Zeit: „Wenn wir uns nicht bewegen, sterben wir“?
Tobias Krüger: Ja, genau. Das ist auch heute fast noch so. Die Behauptung „Wenn wir uns nicht bewegen, sterben wir“ spornt Männer besonders an. Die gehen in dieses martialische „Wir müssen kämpfen!“. Bei Frauen klappt das jedoch meist nicht.
Michael Otto beim Kickoff
Sebastian Purps-Pardigol: Was funktioniert bei Frauen besser?
Tobias Krüger: Das Gestaltende. Ich glaube – und das ist eine feste Überzeugung, die sich etabliert hat –, dass wir genug Wums haben in der Gruppe, um viel stärker gestalten zu können. Wir können viel stärker Einfluss nehmen an bestimmten Ecken. Das ist natürlich das viel schönere Bild.
Sebastian Purps-Pardigol: Lassen Sie uns nochmal kurz die Chronologie anschauen. CEO Alexander Birken hat mir erzählt, dass sich das Board im ersten Jahr sehr mit sich selbst beschäftigt hat. Ein Kulturwandel 4.0-Team, so wie jetzt, existierte lange Zeit nicht.
Tobias Krüger: Ja, genau.
Sebastian Purps-Pardigol: Es gab im Dezember 2015 diesen besonderen Moment. Was ist danach geschehen?
Tobias Krüger: Zwar gab es viele im Board, die gesagt haben: „Ja wir haben da irgendwie Themen.“ Aber sie haben nicht genau verstanden, was eigentlich das Thema ist. Dazu brauchte es einen Augenöffner. Wir haben den Vorstand an die Hand genommen und ihn aus seiner Vorstandsblase heraus in die Realität der Mitarbeiter geführt. Von den sechs Thesen, die ich anfangs genannt hatte, hat sich jeder Vorstand eine ausgesucht und mit Kolleginnen und Kollegen aus allen Hierarchiestufen, die nicht in den eigenen Direktionsbereich gehörten, einen Workstream gebildet. Das wurden echte Reality-Checks. Da hat jeder intensive Aha-Erlebnisse gehabt, so dass am Ende niemand im Board mehr Zweifel hatte, dass es schlau ist, den Kulturwandel zu beginnen. Alle sind da enthusiastisch herausgegangen und haben gesagt: „Das müssen wir machen, wir werden sonst echte Probleme bekommen.“
Sebastian Purps-Pardigol: Haben Sie den Prozess laufen lassen oder die Vorstandsmitglieder dabei unterstützt?
Tobias Krüger: Wir haben das sehr eng begleitet. Wir hatten zu dem Zeitpunkt sieben Vorstände – dazu gab es sieben Consultants und mich. Wir haben jeden Stream begleitet. Das war viel Aufwand für uns, da es ungewohntes Arbeiten war – auch für den Vorstand. Die Vorstandsmitglieder fragten: „Was soll ich denn da machen? Was ist denn meine Agenda? Ich brauch doch irgendwie Guidelines!“ Ich antwortete: „Das müsst ihr selbst rausfinden.“ Es war ein schweres Ringen. Das war eine Zeit, da haben wir auf Deutsch gesagt echt viel Gras gefressen. Das war überhaupt nicht trivial.
Workstream Empowerment
Sebastian Purps-Pardigol: Sollten die Workstreams der Vorstände mit den Mitarbeitern Ergebnisse liefern oder ging es nur um das Schärfen des Bewusstseins?
Tobias Krüger: Tatsächlich ist es so gewesen, dass die Beteiligten Ergebnisse produzieren wollten. Doch das würde ich heute nicht mehr tun! Es war Fluch und Segen zugleich, weil diese Workstreams als temporäre Einheit für drei Monate gedacht waren. Die Vorstände sagten uns: „Das ist so eine wichtige Resonanzquelle für mich geworden, dass ich das so schnell gar nicht aufgeben will.“ Darüber hinaus entstand auf einmal eine Schattenorganisation aus Kulturflüsterern mit direktem Vorstandszugang. Die konnten mit den obersten Chefs sprechen, ohne in der fachlichen Verantwortung zu sein. Das wurde für uns zum Bumerang: Wie schaffen wir es, diese Parallelstruktur zu erden? Wie kriegen wir das in die Organisation rein? Wie schaffen wir es, Befindlichkeiten abzubauen? Ich konnte das gut verstehen: Ich hätte auch verschnupft reagiert, wenn der Einkauf gekommen wäre und gesagt hätte: „Hey Krüger, ich hab die Konzernstrategie entwickelt.“ Da würde ich mich auch in meiner Kernkompetenz eingeschränkt fühlen. Und diese Momente hatten wir zuhauf.
Sebastian Purps-Pardigol: Ist parallel zu den Workstreams etwas geschehen? Oder war das nur ein Wakeup-Moment und erst danach konnten Sie mit der Veränderung beginnen?
Tobias Krüger: Um chronologisch zu bleiben: Im April 2016 herrschte eine super Euphorie. Der Vorstand hatte Aha-Erlebnisse. Der Gesellschafter sagte: „Die Ergebnisse aus euren Streams sind ja toll!“. Man hat diese Ergebnisse der Organisation sehr breit vorgestellt, und diese erwiderte: „Jetzt geht’s los!“ Dann haben wir bemerkt: Wir sind bisher nur ein Team aus Strategen. Wir können doch nicht mit Mehrperspektivität, Offenheit und Transparenz vom Kulturwandel erzählen – tatsächlich aber sitzen wir hier in unserem eigenen Kabuff. Wir machen erstmal unser Team auf und laden alle Leute aus der Organisation ein, Teil dieses Teams zu werden und weiter mitzugestalten.
Sebastian Purps-Pardigol: Was bedeutet konkret: „Wir machen unser Team auf“? Konnten Kollegen sich einfach bei Ihnen mit reinsetzen?
Tobias Krüger: Ja, genau. Wir sind multihierarchisch geworden. Das war ein Problem, denn wir waren 13 Köpfe und nur dreieinhalb FTEs. Ich hab schnell gemerkt, dass ich nur noch Zeit darauf verwende, diese 13 Köpfe miteinander zu synchronisieren. Dazu kam – und auch das darf man nicht unterschätzen in so einer großen Organisation –, dass ich am Anfang nicht erwartet hatte, dass ich auf einmal ganz viele Bereichsinteressen in diesem Team hatte. Ich habe Konflikte erlebt mit: „Ja, ich als Person würde das inhaltlich teilen, aber aus meiner Rolle in meinem Bereich weiß ich, dass mein Direktor das nicht gut findet, deswegen kann ich jetzt hier nicht mitgehen.“
Ich habe im Juni dem Board gesagt: „Wenn ihr den Kulturwandel wollt, dann muss das in einer anderen Struktur geschehen, das wird nicht anders funktionieren.“ Alexander Birken, der designierte Nachfolger, hat sich bekannt: „Ich möchte dieses Thema als CEO, und ich glaube daran, dass es wichtig ist.“ Er hat das Kulturwandel 4.0-Team als Stabsstelle ins Leben gerufen. Ich hätte bis Sommer 2016 alles drauf gewettet, dass das Thema noch nicht durch die Tür ist.
Sebastian Purps-Pardigol: Warum hätten Sie alles dagegen gewettet? Waren die Widerstände so groß?
Tobias Krüger: Ja klar! Fünf Prozent der Kollegen fanden den Kulturwandel gut und hatten Lust darauf. Ungefähr 80 Prozent haben gesagt: „Das brauchen wir zwar, aber das schafft ihr nicht.“ Und 15 Prozent waren grundsätzlich massiv dagegen. Da ging es um die Angst vor Machtverlust.
Ich habe in meinem beruflichen Leben ungefähr 50 strategische Projekte umgesetzt. Bei der Otto Group ungefähr 35, und 15 bei Arcandor. Mal als Consultant, mal als Projektleiter, mal als Abteilungsleiter, mal als Bereichsleiter – also auf unterschiedlichen Ebenen. Ich hab noch nie etwas gemacht, das so unglaublich anstrengend war wie dieses Thema! Denn man ist ganz schnell bei Themen wie Wertschätzung, Befindlichkeit, „ich“ als Person, „ich“ in meinem Bereich, existenzielle Ängste und so weiter.
CEO Alexander Birken stellt sich Kulturwandelfragen
Sebastian Purps-Pardigol: Welche Widerstände waren erwartet?
Tobias Krüger: Ich hab da gar nicht so viel drüber nachgedacht, wenn ich ehrlich bin. Ich bin unterwegs gewesen in der strategischen Logik und habe mich gefragt: „Welche Stakeholder brauche ich? Wen muss ich irgendwie überzeugen? Was sind Wege, damit ich Brücken gebaut bekomme? Wo muss ich in Konflikt gehen?“ Ich habe mich nicht gefragt: „Mit welchen Widerständen kann ich denn rechnen?“ Sondern ich habe eher gedacht: „Wie schaff ich es, dass das Thema überlebt?“
Der Kulturwandel war zu Beginn eine zarte Pflanze, die von allen Ecken bedroht wurde. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es keine Generationen- oder Hierarchiefrage ist, ob man mit dem Kulturwandel etwas anfangen kann, sondern eine Typfrage. Wir haben hier im Konzern einen wertgeschätzten Kollegen namens Ludwig Richter. Der geht, glaube ich, mittlerweile auf die 70 Jahre zu, und er sagt: „Das hätte man vor 15 Jahren gebraucht.“ Der zieht wirklich mit glühenden Schwertern durch den Konzern und preist den Kulturwandel an. Auf der anderen Seite hatte ich vor drei Jahren im Rahmen einer Azubi-Runde einen schockierenden Moment. Die Hälfte der Azubis hat mir erklärt, dass sie zur Otto Group gegangen sei, weil es hier sicher sei und man bis zur Rente bleiben könne. Da war ich wirklich kurz fassungslos.
Sebastian Purps-Pardigol: Aus wie vielen Mitgliedern besteht das Kulturwandel 4.0-Team mittlerweile?
Tobias Krüger: Wir sind jetzt sieben. Als wir uns gegründet haben, kamen wir alle zufällig zueinander. Das Merkmal, warum wir sieben uns gefunden haben, war unsere Leidenschaft für das Thema. Ich habe niemanden aus dem HR-Bereich bei mir, der Change-Erfahrung hat. Keine Coaches, niemanden! Mir war es wichtig, eine ausgeglichene Mischung aus Jung und Alt, weiblich und männlich zu haben. Als wir uns im Januar 2017 gegründet haben, war uns auch noch nicht klar, wie wir den Prozess gestalten können und wie wir uns entwickeln wollen. Das haben wir uns im Laufe des Jahres 2017 erarbeitet. Mittlerweile sind wir auf einem Professionalitäts-Niveau, von dem ich sage: Jetzt sind wir vernünftig arbeitsfähig. Aber alles bis dahin war ein opportunitätsgetriebenes Vor-sich-hinstolpern. Das ist auch gar nicht böse gemeint. Es ist einfach dem geschuldet, dass nicht nur wir, sondern auch alle um uns herum nicht wussten, was da passiert und wie es passiert.
Sebastian Purps-Pardigol: Wann wurde der Schalter umgelegt und gesagt: „Hier ist ein Kulturwandel 4.0-Team“?
Tobias Krüger: Das war Anfang 2017. Wobei wir für uns selbst danach nochmal locker acht bis zwölf Wochen gebraucht haben, um so richtig in die Spur zu finden und uns zu sortieren.
Sebastian Purps-Pardigol: Um es nochmal zusammenzufassen: Anfang 2016 ging es los, dann kam die Wake-Up-Phase für den Vorstand, dann ging es in die Richtung Teamgründung. Was ist in der Zwischenzeit geschehen?
Tobias Krüger: In Summe ist gigantisch viel passiert, weil wir relativ früh gesagt haben: Der Prozess muss offen und partizipativ sein. Dadurch gab es schnell ein unglaublich großes Unterstützernetzwerk. Kulturwandel lebt ja nicht nur von uns. Wir bieten mittlerweile nur noch eine Infrastruktur an, in der ganz viele andere aktiv werden. In den Workstreams hatten wir bereits 130 Teilnehmer. Durch die Kollegen aus den Human Resources-Abteilungen, die wir auch mit eingebunden haben, sind wahrscheinlich nochmal 400 Menschen hinzugekommen. Und wir hatten aus den Workstreams um die 40 Initiativen, die an spezielle Initiativen-Teams übergeben worden sind. Das waren nochmal geschätzt 400 Personen, die da mitgearbeitet haben.
Die Hälfte der Azubis hat mir erklärt, dass sie zur Otto Group gegangen sei, weil es hier sicher sei und man bis zur Rente bleiben könne. Da war ich wirklich kurz fassungslos.
Sebastian Purps-Pardigol: Könnten Sie mir bitte einige Initiativen benennen, damit ich ein Verständnis erhalte, was dort geschah?
Tobias Krüger: Eine Initiative beschäftigte sich mit dem Leitbild des Unternehmens. Wir haben sehr früh festgestellt, dass es in der Breite der Mitarbeiterschaft ein großes Bedürfnis nach Orientierung gibt. Das war früher die Familie – in der Person Dr. Michael Otto, der mehrere Jahrzehnte den Konzern geführt hat. Er hat für Werte gestanden und ganz viel verkörpert. Als er in den Aufsichtsrat wechselte, hat das Management es nicht geschafft, diese emotionale Lücke zu füllen.
Wir haben auch an dem Thema Transparenz gearbeitet. Das bedeutet eine konkrete Öffnung der Kommunikation an vielen Stellen. In einer Menge Einzelgesellschaften können sich Mitarbeiter nun beispielsweise darauf bewerben, an den Geschäftssitzungen teilzunehmen.
Sebastian Purps-Pardigol: Und das hat alles bereits stattgefunden bevor das Kulturwandel 4.0-Team offiziell gab?
Tobias Krüger: Ja, das ist alles parallel entstanden.
Sebastian Purps-Pardigol: Haben Sie damals in der Rolle als Strategen die Fäden aller Aktivitäten in der Hand gehabt?
Tobias Krüger: Wir haben das zumindest ein Stück weit versucht. Diese Diskussion hatten wir auch lange im Board. Aber wir mussten uns schnell von der Idee verabschieden, dass wir wissen, was überall läuft. Wir wechselten in eine „Letting Go“-Haltung: Wir werden sowieso nicht alles kontrollieren können, und deswegen muss es irgendwie passieren und sich verstärken. Ich bin mir sicher: Hätten wir zu dem Zeitpunkt den Stecker gezogen, wäre der Kulturwandel gestorben. Wir hatten eine Katalysator-Rolle. Heute ginge es auch irgendwie ohne uns weiter – und das ist der große Erfolg für mich im Jahr 2017. Es ist uns gelungen, eine teils physische, teils virtuelle Infrastruktur zu schaffen, die es erlaubt, miteinander Dinge anders zu machen – auch ohne uns als Corporate Kulturwandel-4.0-Team und ohne die Ansagen im Board.
Das ist für mich persönlich aktuell der größte Fortschritt!
Jedes große Beratungshaus der Welt war bei der Otto Group – viele davon persönlich bei mir. (…) Wir haben allen gesagt: „Das passt irgendwie nicht.“ – Mittlerweile ist es ein bedeutsamer Erfolgsfaktor, es selbst gemacht zu haben.
Sebastian Purps-Pardigol: Wie gelingt es ganz konkret, die Einzelgesellschaften für den Kulturwandel zu begeistern? Geht das Corporate Kulturwandel 4.0-Team in die Prozesse mit rein oder entwickeln die Gesellschaften eigene Initiativen, die sie anschieben?
Tobias Krüger: Wir haben sehr schnell gelernt: Es gibt nicht den einen Blueprint, den wir über alle Gesellschaften ausrollen können. Aus unterschiedlichen Gründen: Der eine ist, dass der kulturelle Reifegrad der Unternehmen sehr unterschiedlich ist. Der zweite ist, dass wir andere Formen brauchen, um die Mitarbeiter zu erreichen. Das bedeutet nicht andere Inhalte, sondern eine andere Taktung der Arbeit. Es macht einen Unterschied, ob ich in der Verwaltung sagen kann: „Komm, wir machen mal einen Tagesworkshop.“ So etwas geht in einem Call-Center oder an einem Logistik-Fließband nicht. Wir benötigen andere Formen, um diese Inhalte zu transportieren. Das hat aber ganz viele Implikationen auf Prozesse.
Ich kann mir als Person gar nicht anmaßen, zu sagen, ich hätte ein Verständnis für die Kultur der einzelnen Unternehmen. Denn das speist sich aus den Erfahrungen und Erlebnissen, die die Mitarbeiter vor Ort in der Vergangenheit gemacht haben. Und deswegen haben wir sehr schnell gesagt, dass wir eigentlich nur einen Rahmen schaffen können. Wir im Kulturwandel 4.0-Team lernen auf der Metaebene. Wir können sagen: unabhängig davon, ob man im Call-Center Neu-Brandenburg arbeitet oder bei EOS oder bei der Otto Group – wir sehen: Es ist gut, einen Torwart zu haben. Und dieses Metalernen ist eines der Kern-Assets, die wir hier entwickeln. Ich bin kein Experte für den nämlichen Prozess. Wir haben mittlerweile lokale Kulturwandelteams in fast 25 Gesellschaften, die dann für ihre Gesellschaft überlegen, was der beste Prozess sein könnte. Und wir sagen: „Schau mal, das hat sich hier bewährt, das macht irgendwie Sinn, das kann man machen und nicht machen.“ Und das ist auch ganz klar für uns, dass die Menschen es selber umsetzen müssen.
Jedes große Beratungshaus der Welt war bei der Otto Group – viele davon persönlich bei mir. Alle haben gepitcht, wie sie sich die Digitalisierung denken: „5 Jahre, 30 Millionen Euro, 5000 Change Agents und dann sind wir fertig.“ Wir haben allen gesagt: „Das passt irgendwie nicht.“ – Mittlerweile ist es ein bedeutsamer Erfolgsfaktor, es selbst gemacht zu haben. Denn das Thema Veränderung lässt sich nicht outsourcen …
Sebastian Purps-Pardigol: … da man den Buy-In der Mitarbeitenden nicht erhält, wenn er von außen umgesetzt wird.
Tobias Krüger: Ja genau. Was wir aber schon noch brauchen, das sind Impulse von außen.
Jedes große Beratungshaus der Welt war bei der Otto Group – viele davon persönlich bei mir. (…) Wir haben allen gesagt: „Das passt irgendwie nicht.“ – Mittlerweile ist es ein bedeutsamer Erfolgsfaktor, es selbst gemacht zu haben.
Sebastian Purps-Pardigol: … da man den Buy-In der Mitarbeitenden nicht erhält, wenn er von außen umgesetzt wird.
Tobias Krüger: Ja genau. Was wir aber schon noch brauchen, das sind Impulse von außen.
Workstream Empowerment
Sebastian Purps-Pardigol: Was sind denn einige der Lernerfahrungen auf Metaebene, von denen Sie gerade gesprochen haben?
Tobias Krüger: Ach, gigantisch viele. Das Erste: Du brauchst das Engagement des gesamten Kreises. Das klingt trivial, ist es aber gar nicht. Ein Beispiel: Eine unserer Gesellschaften will den Kulturwandel beginnen. Die Geschäftsführer kommen dann meistens zu uns und bitten: „Erklär uns das mal!“. Dann fahren wir dorthin und sagen: „Wir müssen den Prozess legitimieren.“ Es sitzen drei Geschäftsführer am Tisch. Zwei bestätigen: „Ja, mega gut, wir haben verstanden.“ Der Dritte bekundet: „Ich bin ein bisschen skeptisch, aber wenn ihr beide das gut findet, dann macht das mal.“ Wir haben gelernt, dass das nicht klappt. Sobald der Druck größer wird, zerlegt die fehlende Einheit den Prozess.
Sebastian Purps-Pardigol: Was geschieht danach? Arbeitet Sie dann zuerst einige Monate mit den Geschäftsführern?
Tobias Krüger: Ja, genau. In dem Fall würden wir versuchen, zu heilen. Bisher haben sich alle Geschäftsführer darauf eingelassen. Die ersten Prozesse, die wir gemacht haben, waren anscheinend so wertstiftend, dass die Geschäftsführer der verschiedenen Gesellschaften sich gegenseitig davon erzählt haben. Meine große Sorge, als ich im Jahr 2017 ich angefangen habe, war: „Oh Gott, jetzt muss ich 47.000 Klinken putzen, bis irgendeiner überhaupt zulässt, dass wir irgendwas tun.“ Dabei ist es jedoch eher der Fall, dass die Chefs sich auf die Arbeit miteinander einlassen. Im Moment kommen viele zu uns.
Ein zweites großes Learning ist, dass wir in jedem dieser Unterprozesse schnell dahin kommen müssen, die Organisation zu erkunden. Das klingt ein bisschen schwabbelig, aber ich hab kein besseres Wort dafür. Häufig hat das Top Management Hypothesen, warum die Dinge so sind wie sie sind. Die bilden sie sich aus ihrer eigenen Perspektive. Durch die erkundenden Gespräche werden viele dieser Annahmen widerlegt.
Das Dritte ist: Wir müssen die Prozesse professionalisieren. Professionalisieren heißt auch: Schwerpunkte setzen. Man verzettelt sich sonst. Typischerweise werden in diesem erkundenden Prozess viele Altlasten hochgespült
Sebastian Purps-Pardigol: … und alle Beteiligten wollen vorzugsweise die eigenen Themen schnell bearbeitet haben.
Tobias Krüger: Alle gehen in Aktionismus, versuchen alles zu machen. Das funktioniert nicht, man muss sich selbst fragen: „Welches sind meine zwei, drei dicken Bretter, die ich jetzt bohren will? Und wenn ich diese gebohrt habe, woran merke ich dass es erfolgreich war?“ Und dann guckt man wieder sequentiell: Was ist das Nächste?
Workstream Empowerment
Workstream Power mit Dr. Rainer Hillebrandt
Sebastian Purps-Pardigol: Wer definiert das letztlich? Lassen Sie das die eigenen Kulturwandel-Teams der Organisationen machen?
Tobias Krüger: Ja. Auch da ist es so, dass wir sagen: Wir sind nicht die Experten der Organisation. Oftmals haben Geschäftsführer Vorbehalte, sie fragen: „Was ist, wenn da nur Quatsch hochkommt?“ Meine Erfahrung zeigt: Die Sachen, die Quatsch sind, werden typischerweise im Prozess von den Mitarbeitern eliminiert. Ich hab noch nicht einen einzigen Prozess gehabt, in dem Quatsch umgesetzt wurde. Das ist ja auch Teil der Haltungsänderung, zu sagen: Die Mitarbeiter sind die Experten dafür, und nicht ich als Geschäftsführer. Die Mitarbeiter in ihren Lebensrealitäten müsst sagen, was sie für ein besseres Miteinander brauchen.
Sebastian Purps-Pardigol: Wie reagieren die lokalen Personalabteilungen, wenn Sie so einen Prozess initiieren?
Tobias Krüger: Für die lokalen Kulturwandel-Teams haben wir Prämissen etabliert. Es ist zwingend notwendig, dass in den Gesellschaften die lokalen Human Resources-Kollegen eingebunden sind. Klassischerweise besteht ein lokales Kulturwandel-Team aus einem Personal-Kollegen, jemandem aus dem Betriebsrat (wir haben überall, wo es geht, den Betriebsrat mit dabei), jemanden aus der Kommunikation … Auch diese breite Besetzung der Kulturwandel 4.0-Teams ist das Ergebnis eines Lernprozesses, das haben wir zu Beginn extrem schlecht gemacht. Jetzt, im Jahr 2017, haben wir das geändert. Idealerweise haben die lokalen Kulturwandel-Teams dann noch jemanden, der ein bisschen strategisch denkt, und jemanden der das operative Geschäft kennt.
Sebastian Purps-Pardigol: Was empfehlen Sie den lokalen Kulturwandel-Teams wie diese beginnen sollen? Gibt es eine vorgefertigte Roadmap oder sagen Sie einfach nur: Achtet darauf,das zu tun und das nicht zu tun?
Tobias Krüger: Auch in diesem Punkt professionalisieren wir uns gerade weiter. Der Grundgedanke muss sein: „Ihr solltet einen klassischen Projektplan über das erarbeiten, was ihr in den nächsten drei Monaten erreichen wollt. Ihr müsst an Kommunikation denken, ihr müsst euch fragen, wie ihr mit eurer Geschäftsführung interagieren wollt, ihr braucht eine Visionen, ihr benötigt ein Wertegerüst, ihr müsst euch überlegen, wieviel Kapazität ihr investiert, woher ihr die Ressourcen bekommt!“
Sebastian Purps-Pardigol: Eigentlich nehmen Sie die Rolle der externen Beratungsfirmen ein, die sonst bei Euch anklopfen, oder?
Tobias Krüger: Ich glaube, wir machen es klüger, da wir alles im System verankern.
Workstream Power mit Dr. Rainer Hillebrandt
Sebastian Purps-Pardigol: Der große Unterschied zwischen den klassischen Beratungsfirmen und Ihrem Team scheint zu sein: Beratungsfirmen wollen möglichst viele Manntage verkaufen. Sie haben nur wenig Mitarbeitende und müssen mit wenig Ressourcen agieren. Das führt dazu, dass die lokalen Kulturwandel-Teams es alleine schaffen müssen.
Tobias Krüger: Ja. Der große Unterschied ist noch: Unsere Vision als Team ist es, zu sagen: Wir wollen uns in zwei, drei Jahren selbst überflüssig gemacht haben.
Wir machen sehr viel von diesen selbsttragenden Themen. Ich merke immer mehr: Ich kann den lokalen Kulturwandel-Teams gar nicht die Beratungsleistung liefern, da diese über das Prozessuale hinausgeht. Wenn Fragen kommen wie: „Krüger, ich hab jetzt hier gerade einen ganz schweren Fall, wie löse ich den?“, dann sage ich: „Keine Ahnung, denn ich betreibe diesen Prozess ja nicht. Aber wir haben 45 andere Firmen, die den Prozess ebenfalls irgendwie betreiben. Setzt euch mal zusammen!“ Wir fangen an, kollegiale Teamcoachings in diesen Themen aufzubauen. Extrem cool!
Sebastian Purps-Pardigol: Wie reagieren Sie, wenn Sie merken, dass die Menschen mitgestalten möchten, aber die Chefs die Ressourcen blockieren?
Tobias Krüger: Das ist auch so einer der Grundkonflikte, die wir haben. Interessanterweise tritt der nicht so häufig auf, wie ich dachte. Denn wir haben mit der Familie Otto Gesellschafter, die sich vorne hinstellen und sagen: „Top Prio 1 muss dieses und jenes Thema sein!“. Wir haben einen Vorstand, der sagt: „Wir werden sterben, wenn wir das nicht machen!“. Die Vorstandsmitglieder investieren selber extrem viel Zeit da rein, sie leben es vor. Es wird sehr, sehr schwer für irgendeinen Geschäftsführer oder jemanden aus dem mittleren Management, zu argumentieren, warum man sich um dieses Thema jetzt nicht kümmern sollte, wenn doch alle anderen so viel Zeit rein investieren. Ich erlebe aber auch bei den Kollegen, die sich engagieren, dass sie eher Probleme damit hätten, wenn man sagen würde: „Ich stelle dich jetzt zu 50 Prozent frei.“ Zum einen hätten sie ein schlechtes Gewissen, da die Arbeit dann das Team machen müsste. Und zweitens denken sie: „Wenn es diese 50 Prozent-Freistellungsregel gäbe, würde es dazu führen, dass ich wahrscheinlich gar nicht freigestellt werden würde, dann könnte ich mich gar nicht mehr engagieren.“ Ich erlebe eine hohe Bereitschaft, zu sagen: „Ich als Person versuche, in meinem Tagesablauf meine 20 bis 30 Prozent freizuschaufeln, um irgendwie Teil dieser Gruppe sein und gestalten zu können. Und im Zweifel mache ich darüber hinaus ein oder zwei Jahre mehr, weil ich glaube, dass die Relevanz und das Gestalten viel mehr Wert haben, als jetzt darauf zu pochen, strukturell freigestellt zu werden.
Sebastian Purps-Pardigol: Wie viele der Menschen versuchen, diese 20 bis 30 Prozent freizuschaufeln? Sind das die fünf Prozent von denen Sie vorhin gesprochen haben?
Tobias Krüger: Das ist unterschiedlich. Unsere Gruppe ist so groß, wir haben eigentlich alles. Wir haben Gesellschaften, da werden Mitarbeiter sehr unterstützt, und es funktioniert super. Wir haben andere Gesellschaften, da mach Einzelpersonen machen sehr viel, weil sie es wollen, aber sie werden noch wenig unterstützt. Diese fünf Prozent engagieren sich alle unterschiedlich, und auch das ist mir wichtig im Kulturwandel. Kulturwandel hat nichts zu tun mit: „Ich muss jetzt besonders viel Zeit da rein stecken.“ Es ist eher eine Frage des Wirkungskreises, denn mann kann auch mit wenig Zeitinvestition relativ viel erreichen. Indem man sich am eigenen Arbeitsplatz fragt: „Was muss ich denn heute in diesen acht Stunden tun, damit ich kollaborativer, agiler, vernetzter unterwegs bin?“ Im Zweifel kostet das nur fünf Minuten beim Kaffee trinken, sich zu sagen: „Ich habe gehört, der Meyer bei Bonprix hat irgendwie ein ähnliches Problem. Ich frag mich mal durch. wie ich mit dem reden kann.“
Sebastian Purps-Pardigol: Wie groß ist der Anteil der Kommunikation, um diese Aktivierungsenergie hinzubekommen?
Tobias Krüger: Meine Erfahrung ist: Man kann nie genug kommunizieren. Ich bemerke, wie oft wir die gleichen Nachrichten senden müssen, bis sie durchdringen. Da hat sich für uns bewiesen: Den Betriebsrat an der Seite zu haben, ist maximal gut, denn er verfügt nochmal über eine ganz andere Glaubwürdigkeit und über zusätzliche Kommunikationskanäle. Wenn man es schafft, den Betriebsrat für den Kulturwandel zu gewinnen, dann hat man einen starken Kommunikationsverstärker. Und wir haben gemerkt, dass eine übergeordnete, regelmäßige Top down-Kommunikation des Managements wichtig ist.
Wenn man es schafft, den Betriebsrat für den Kulturwandel zu gewinnen, dann hat man einen starken Kommunikations-Verstärker.
Sebastian Purps-Pardigol: Lassen Sie uns das Thema Digitalisierung nochmal kurz anschauen – Sie hatten es bereits einige Male erwähnt. Alexander Birken sagte sinngemäß: „Im Grunde genommen funktioniert das Technische ohnehin, das Schwierige ist das Kulturelle“ – Wie ist es andersherum: Wenn es die Digitalisierung nicht gäbe, würden Sie sich dann in dem Maße mit dem Kulturwandel beschäftigen?
Tobias Krüger: Das ist eine spannende Frage. Der Ausgangspunkt war bei uns eine wirtschaftliche Schieflage -unabhängig von der Digitalisierung. Das Bedrohungsszenario durch die Digitalisierung war natürlich immens. Ich glaube, dass sich das bedingt hat. Ich könnte mir vorstellen, wenn wir vor sieben Jahren eine andere Krise erlebt hätten, dass es vielleicht genauso gekommen wäre – ohne dass das Bedrohungsszenario Digitalisierung so groß gewesen ist. Es passt aber im Moment sehr gut zusammen.
Sebastian Purps-Pardigol: Wenn Sie aus der Perspektive von heute zurückschauen, was würden Sie anders machen?
Tobias Krüger: Ach ganz viel! Da sind diese 90 Prozent, bei denen ich eben sagte: Das hat da alles nicht geklappt. Als die Vorstände die Workstreams gemacht haben, haben wir an vielen Ecken sehr viel Hierarchie ausgeklammert. Das war ein bisschen schwierig. Wir haben auch Fachbereiche zu spät eingebunden. Das kriegt man schwer wieder eingefangen, weil sich dann Menschen persönlich beleidigt fühlen. Wir haben operativ rund 47.000 Fehler gemacht. In meiner Truppe sitzen ein paar Strategen, ein alter Controller – Leute, die Bock auf das Thema haben. Da macht man ständig Sachen falsch, und ich finde, Fehler gehören auch dazu. Spannend ist ja eher: Wie gelingt es uns, mit diesen Themen umzugehen? Wie kriegen wir es in dieses Metalernen? Ich komme jeden Tag in Situationen, die mich maximal herausfordern, weil sie neu für mich sind. Weil ich entweder eine Konstellation habe, die ich so noch nicht hatte, oder weil ich in eine Rolle komme, die ich so nicht haben will.
Deswegen finde ich das auch gar nicht schlimm. Und ich glaube, dass man nicht vergessen darf, dass wir nur da sind, weil wir viele Sachen falsch gemacht haben. Jeder Fehler hat dazu geführt, dass wir besser geworden sind in dem, was wir tun. Aber die ganz große Themen, bei denen ich denke: „Hm, das hätte man eigentlich auch sehen können, und das wäre vielleicht klüger gewesen“, das war die fehlende Einbindung der Fachbereiche und die fehlende Einbindung der Hierarchie zu Beginn des Prozesses.
Wir hätten zu Beginn die Hierarchien nicht so sehr ausblenden dürfen.