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Karlsberg | Christian Weber

Christian Weber ist Generalbevollmächtigter und führt in fünfter Generation eines der bekanntesten Familienunternehmens im Saarland: Die Karlsberg-Brauerei. Gegründet wurde die Firma von seinem Ur-Ur-Großvater – ebenfalls einem Christian Weber. Neben den bekannten Marken Karlsberg und Mixery produziert die Firma durch ein komplexes Firmengeflecht auch Fruchtsäfte, Mineralwässer und Limonaden. Christian Weber, der Ur-Ur-Enkel, ist seit sieben Jahren im Unternehmen. Er hat seitdem begonnen, durch einen gemeinsame Werte- und Kulturwandel-Prozess die 1.300 Mitarbeitenden der rund ein Dutzend Tochterfirmen einander näher zu bringen. 460 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftet die Firmengruppe – 160 Millionen Euro davon mit Bier. Eine seiner spektakulärsten Entscheidungen war, im Jahr 2017 ganz bewusst 30 Prozent weniger Bier zu produzieren, um damit aus manch margenschwachen Märkten auszusteigen. Er fühlte, dass viele Mitarbeitenden am Anschlag waren und nahm damit Druck aus dem System.

Christian Weber ist General-bevollmächtigter und führt in fünfter Generation eines der bekanntesten Familienunternehmens im Saarland: Die Karlsberg-Brauerei. Gegründet wurde die Firma von seinem Ur-Ur-Großvater – ebenfalls einem Christian Weber. Neben den bekannten Marken Karlsberg und Mixery produziert die Firma durch ein komplexes Firmengeflecht auch Fruchtsäfte, Mineralwässer und Limonaden. Christian Weber, der Ur-Ur-Enkel, ist seit sieben Jahren im Unternehmen. Er hat seitdem begonnen, durch einen gemeinsame Werte- und Kulturwandel-Prozess die 1.300 Mitarbeitenden der rund ein Dutzend Tochterfirmen einander näher zu bringen. 460 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftet die Firmengruppe – 160 Millionen Euro davon mit Bier. Eine seiner spektakulärsten Entscheidungen war, im Jahr 2017 ganz bewusst 30 Prozent weniger Bier zu produzieren, um damit aus manch margenschwachen Märkten auszusteigen. Er fühlte, dass viele Mitarbeitenden am Anschlag waren und nahm damit Druck aus dem System.

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Eigentlich hat mein Großvater die Unternehmenskultur bereits zum Thema gemacht.

Sebastian Purps-Pardigol: Als Mitglied der Eigentümerfamilie sind Sie der Generalbevollmächtigte für die Karlsberg Brauerei GmbH. Was genau ist dort Ihre Aufgabe?

Christian Weber: Die Karlsberg Brauerei ist eine Kommanditgesellschaft mit etwa 1300 Mitarbeitern. In dieser Gesellschaftsform wird normalerweise jemand gewählt, der das Unternehmen führt. Das ist bisher mein Vater gewesen, eigentlich ist er es immer noch. Aber hat er sich aus dem operativen Geschäft herausgezogen. Unser Familienunternehmen besitzt eine komplexe Struktur, es gibt Teilgesellschaften, Holdings und Aktiengesellschaften, die in einer Dachgesellschaft „zusammenlaufen“. Meine Aufgabe ist es, die verschiedenen Unternehmen zusammenzuhalten und zu schauen, dass sie sich in eine abgestimmte Richtung entwickeln. 

Sebastian Purps-Pardigol: Wenn wir über das Thema Kulturwandel reden, reden wir dann über das Unternehmen, das das Bier produziert, über die Holding oder über alle?

Christian Weber: Wir reden über alle. Unser Ansatz ist, dem Thema eine Klammer zu geben. Wir wollen nicht alle über einen Kamm scheren und sagen: „Wir alle sind Karlsberger“, weil das so nicht ist. Jeder hat seine Identifikation mit seinem Unternehmen. Das Zusammenhalten dieses komplexen Verbundes läuft über das Thema Unternehmenskultur und Werte, also über informellere Themen als irgendwelche gesellschaftsrechtlichen Strukturen.

Sebastian Purps-Pardigol: Wann haben Sie begonnen, sich mit dem Thema Kulturwandel auseinanderzusetzen? Und warum?

Christian Weber: Eigentlich hat schon mein Großvater das Unternehmenskultur-Leitbild und das Verhältnis zwischen Menschen und Inhaberstruktur sehr stark zum Thema gemacht. Nach dem Zweiten Weltkrieg musste er sich hier in der Region positionieren, im Wettbewerb mit anderen Unternehmen – vor allem aus den Branchen Kohle und Stahl. Damals stellte sich die Frage, wie man gute Leute ins Unternehmen hineinbekommt. Er hat die Philosophie der Wertschätzung früh eingesetzt, um den Menschen als Menschen zu behandeln und nicht als Ressource. Er hat immer gepredigt, dass der Terminus „Arbeitgeber“ falsch ist, denn eigentlich ist ja derjenige, der seine Arbeit einem Unternehmen anbietet, der, der seine Arbeit gibt. Er kommt, um zu arbeiten, aber er will ordentlich behandelt werden. Und mein Vater, als er das Unternehmen übernommen und den Verbund zu weit mehr als nur einer Brauerei aufgebaut hat, hat Ende der 90-er Jahre sehr viel Wert auf klare Werte im Unternehmen gelegt. Als ich selbst vor sieben Jahren eingestiegen bin, hatten wir gerade einen Teil des Unternehmens den wir zuvor verkauft hatten zurück übernommen und es ging darum, einen Rahmen für diese etwas aus den Fugen geratene komplexe Struktur hinzubekommen. Um sicherzustellen, dass die verschiedenen Unternehmen zur Gemeinschaft zusammenwachsen und nicht nur eine rechtliche Struktur sind.

Sebastian Purps-Pardigol: Ist das, was Sie mit dem Thema Kulturwandel beginnen, vielleicht eine spezielle Form der Post Merger-Integration?

Christian Weber: Es hat viel mit dem Integrationsthema zu tun, und mit der Fragestellung, in welchen Netzwerkstrukturen eigenständige Unternehmen in Zukunft zusammenarbeiten. Das benötigt natürlich eine ganz andere Art des Miteinanders als es in hierarchischen Strukturen möglich ist. Um mit der sehr intensiven Wettbewerbssituation auf dem Getränkemarkt umzugehen, in der es sehr stark um das Thema Innovation und Geschwindigkeit am Markt geht. Und darum, das Thema Marktwerte zu vermitteln durch Unternehmenswerte. Die Menschen wollen nicht nur wissen, was sie da kaufen, sondern auch, von wem sie es kaufen. Wie schaffe ich es, dass das Unternehmen als Verbund funktioniert? Wie kriege ich innovative, kreative Leute ins Unternehmen? Wie vermittle ich dem Konsumenten, dass er es als positiv und sinnhaft sieht, von uns Produkte zu kaufen und nicht von großen, multinationalen Konzernstrukturen?

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Eigentlich hat mein Großvater die Unternehmenskultur bereits zum Thema gemacht.

Großgruppendiskussion in der Unternehmenswerkstatt durch eine Fishbowl-Struktur

 

Sebastian Purps-Pardigol: Gibt es bei Karlsberg neben den genannten Netzwerkstrukturen auch so etwas wie Joint Services für alle Unternehmen, wie beispielsweise Personal- oder Finanzmanagement?

Christian Weber: Wir haben vor einiger Zeit eine Matrix-Struktur versucht, später jedoch wieder eingestellt. Wir haben im Operativen sehr stark dezentralisiert, besonders bei Produktion und Vermarktung. Jetzt gibt es an jedem Produktionsstandort Geschäftsführer, die mit einer eigenverantwortlichen Vor-Ort-Struktur arbeiten. Insgesamt haben wir fünf Geschäftsführer und zwei weitere, die bestimmte Vertriebskanäle für die gesamte Gruppe bearbeiten. Und es gibt eine Service-Struktur, die Finanzen, Buchhaltung, Informationstechnologie und Personal abdeckt. Aber auch dort müssen wir schauen, potenzielle Synergien zu erwirtschaften.

Sebastian Purps-Pardigol: Was tut Karlsberg im Moment, um das Thema Kultur voranzutreiben?

Christian Weber: Bei uns lief der Kulturwandel in drei Stufen. In der ersten Stufe haben wir uns intensiv mit dem Thema Werte des Unternehmens beschäftigt. Wir haben in verschiedenen Workshops mit Führungskräften die Themen Wertfindung, Überarbeitung und Definition erarbeitet: Was ist bereits existent, und was wird in jedem Unternehmen ein bisschen unterschiedlich gelebt? Wir haben relativ viel Zeit damit verbracht, das Thema sauber zusammenzufassen, um einen gewissen Leitfaden zu haben. Die zweite Thematik waren Personalentwicklungsschulungen, die ebenfalls auf die oberen 200 Führungskräfte fokussiert waren. Darin haben wir versucht, das Thema Werte mit konkreten Verhaltenstrainings zu kombinieren. Vor etwa drei Jahren haben wir gemerkt, dass, wenn wir uns nur mit den Führungskräften beschäftigen, eine Abrisskante zu den Menschen entsteht, die tagtäglich das operative Geschäft machen. Darum haben wir das ganze Thema nochmal auf den Kopf gestellt und gesagt: Okay, schaffen wir also eine Systematik, in der sich alle Menschen einbringen können, die im Unternehmen mitarbeiten wollen. Wir nennen das Unternehmenswerkstatt: Wir treffen uns einmal im Jahr und versuchen, auf freiwilliger Basis 120 oder 130 Menschen aus allen Unternehmensbereichen zusammenzubringen, um Ideen zu entwickeln, wie wir in Zukunft zusammenarbeiten wollen. Und dann versuchen wir, diese große Unternehmenswerkstatt durch die Teilnehmer, die aus den verschiedenen Standorten kommen, wieder in den jeweiligen Standorten zu replizieren. Auf diese Weise hat sich neben der hierarchischen Führungsstruktur, die wir weiter aufrecht erhalten wollen, eine Art Unternehmenskulturgruppe pro Unternehmen gebildet, die jetzt versucht, die verschiedensten Themen, die für jeden Standort ein bisschen unterschiedlich sind, vor Ort zu bearbeiten und Ideen zu schaffen – Kommunikation, Prozesse und die Art, wie man miteinander umgeht.

Sebastian Purps-Pardigol: Sie bringen also einmal pro Jahr etwa 120 Menschen zusammen, die in dieser Werkstatt zusammenarbeiten und dann zurück in die Unternehmen gehen. Sind das dieselben Menschen, die Sie als Kulturteam beschrieben haben?

Christian Weber: Diese Menschen sind die Keimzelle. Weil sie nach der Werkstatt in ihre Unternehmen zurückgehen und dort versuchen, andere Leute zu begeistern, und die Idee, das Unternehmen mitzugestalten, weitertragen. Diesen vermitteln wir in der Werkstatt das Gefühl, dass sie das auch wirklich können, sollen und dürfen. Die Idee ist, jedes Jahr neue Menschen zu bekommen – vor Ort oder für die jährliche Veranstaltung.

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Wir haben die Betriebsräte sehr früh eingebunden und sie gefragt: „Das sind die Ideen, wie seht ihr das?“

Sebastian Purps-Pardigol: Sind diejenigen, die in den einzelnen Organisationen das Thema Kultur vorantreiben, dieselben, die an der Werkstattveranstaltung teilnehmen, oder gibt es da nur eine Schnittmenge?

Christian Weber: Die Menschen, die an der Werkstatt teilgenommen haben, kommen zurück ins Unternehmen und fragen: Wen könnten wir noch involvieren, um unsere Themen weiter voranzutreiben? Auf diese Weise entsteht eine Miniwerkstatt aus Teilnehmern, die versuchen, auf die hierarchische Struktur mit ihren Abteilungsleitern und Bereichsleitern Einfluss zu nehmen. Beide Strukturen funktionieren parallel und versuchen, Schnittmengen zu finden. Die großen Unternehmen haben 200 bis 300 Mitarbeiter, die kleineren 100 bis 150. Und der Geschäftsführer erarbeitet mit dem kleinen Werkstattteam Pläne, die in seiner Organisation ganz konkret umgesetzt werden.

Sebastian Purps-Pardigol: Wie findet die Rekrutierung dieser wichtigen Menschen statt? Rufen Sie dazu auf, sich zu bewerben?

Christian Weber: Bewerbung ist das Grundprinzip. Zusätzlich experimentieren wir mit Hybridmodellen, um sicherzustellen, dass aus allen relevanten Bereichen Teilnehmer dabei sein. Zum Beispiel werden zwei bis drei Plätze für die Abfüllung reserviert. Je nachdem, ob sich viele oder wenige bewerben, läuft auch viel über persönliche Ansprache. Ich habe mir gerade in einer kleinen Roadshow an allen Standorten von jeder dieser Werkstattgruppen präsentieren lassen, was sie bisher gemacht haben, und was sie für die nächste Veranstaltung vorbereiten. 

Sebastian Purps-Pardigol: Dürfen diejenigen, die einmal dabei waren, das nächste Mal automatisch wiederkommen, oder müssen sie sich neu bewerben?

Christian Weber: Sie sollten sich neu bewerben. Wir versuchen, eine Mischung hinzubekommen aus einem gewissen Prozentsatz von Ehemaligen und anderen, die noch nicht dabei waren. Wenn die zweite oder dritte Gruppe zurückkommt, soll sie mit der ersten Gruppe die Entwicklung vor Ort weiter vorantreiben. Wer einmal dabei war, ist also generell weiterhin mit dabei – wenn er das will. 

Sebastian Purps-Pardigol: Sind die Geschäftsführer immer dabei?

Christian Weber: Die Geschäftsführer sind immer dabei, ebenso wie die Betriebsräte. Die sind gesetzt.

Sebastian Purps-Pardigol: Wie reagiert denn der Betriebsrat auf das, was Sie da gerade begonnen haben?

Christian Weber: Wir haben die Betriebsräte sehr früh eingebunden und sie gefragt: „Das sind die Ideen, wie seht ihr das?“ Es ist wichtig, dass der Betriebsratsvorsitzende des jeweiligen Unternehmens mit dabei ist, denn er hat eine Informationsaufgabe zu seinen anderen Betriebsratsmitgliedern. Menschen, die sich als Betriebsräte freiwillig melden, haben an sich schon mal eine gewisse Eigenmotivation. Die erleben dieses Spannungsfeld zwischen Eigenverantwortung – das, was wir als langfristiges Ziel wollen –, und einer gewissen Anzahl von Menschen, die sagen: „Mal schauen, ob das wirklich was wird. Und übrigens, manche Entscheidungen treffen will ich eigentlich gar nicht selbst treffen müssen.“

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Wir haben die Betriebsräte sehr früh eingebunden und sie gefragt: „Das sind die Ideen, wie seht ihr das?“

Die Mitarbeitenden erarbeiten gemeinsame Themen bei der Unternehmenswerkstatt

 

Sebastian Purps-Pardigol: Welche Widerstände erleben Sie von Mitarbeitenden und Betriebsräten auf dem Weg, den Sie eingeschlagen haben?

Christian Weber: Es haben sich bisher drei Themenfelder herauskristallisiert, die immer wieder kommen. Das erste ist Information: Wie schafft es ein Unternehmen, die Menschen informiert zu halten, Schnittstellen für die Informationsweitergabe zu schaffen? Darüber wird viel diskutiert, über das ehrliche Miteinander-Umgehen, Kollegen informieren und einbeziehen. Der zweite Punkt ist das Thema Vergemeinschaftung: gegenseitiger Respekt, Aufbauen von Verbindungen, mehr Zeit miteinander verbringen, sich kennenlernen und dadurch die Arbeitsabläufe vereinfachen. Das dritte Thema steht noch ganz am Anfang, denn es ist das schwierigste: Prozessablauf-Veränderung. Wie treffen wir beispielsweise Investitionsentscheidungen? Wenn wir eine neue Abfüllanlage brauchen, wie werden dann die Menschen, die am Schluss die Anlagen betreuen sollen, in diese Entscheidung mit einbezogen? Wir bemerken, dass Ablaufveränderung von Menschen sehr kritisch beäugt wird. Sie fragen sich, warum sie etwas anders machen sollen. Und dann ist die spannende Frage, wieviele Menschen sich tatsächlich involvieren und sagen: „Wir wollen unsere Hand heben und sagen: Das sollten wir anders machen.“

Sebastian Purps-Pardigol: Welches sind die Themen, die Sie in den letzten Jahren in den Werkstätten bearbeitet haben?

Christian Weber: Wir haben verschiedene Diskussionen geführt, denn jedes Unternehmen hat ja unterschiedliche Grundvoraussetzungen. Einige Unternehmen befinden sind in strategischen Veränderungsprozessen, andere stecken in Optimierungsthemen, einige versuchen, sich über Innovation neu zu erfinden. Die einen diskutieren viel mehr, wie Personalveränderungen durchgesetzt werden: Wie soll der Prozess vonstatten gehen, wenn Mitarbeiter gekündigt werden oder wenn es Personalanpassungen gibt? Die anderen beschäftigen sich viel mehr mit neuen Produkten: Was brauchen wir am Markt? Aber wir landen immer wieder bei diesen untermauernden Themen Kommunikation, Zusammenhalt und Prozessabläufe. 

Sebastian Purps-Pardigol: Wenn Sie die Menschen einladen, was sagen Sie ihnen, warum Sie das tun? Welche Erwartungen an diesen Kulturprozess haben Sie als Chef?

Christian Weber: Ich habe da zwei Themenfelder reinpositioniert. Das eine ist eine Begrifflichkeit: „Lebendiges Unternehmen“, also ein Unternehmen, in dem wir die Menschen wie Menschen behandeln und nicht wie Roboter. Und mein zweites Thema ist, nicht nur im Unternehmen zu arbeiten, sondern auch am Unternehmen. Nicht nur auf Anweisung das zu tun, was getan werden muss, sondern die Möglichkeit zu haben, das Unternehmen mitzugestalten. 

Sebastian Purps-Pardigol: Am Unternehmen zu arbeiten, das ist in der alten Welt ein Privileg der Führungskräfte. Ist den Mitarbeitenden bewußt, was sie Ihnen da anbieten? Wird es gewürdigt?

Christian Weber: Puh, ich glaube, von ganz ganz vielen schon. Ich glaube aber auch, dass das für viele Menschen noch nicht ganz so greifbar ist. Viele haben eher das Gefühl: Ob ich das jetzt wirklich brauche? Ich will meine Familie ernähren, was soll das jetzt? Aber diejenigen, die dort waren, begreifen es als eine Chance und versuchen, sie zu nutzen. Die kommen zwar an die Herausforderung, dass sie am Schluss immer noch nicht wissen, was sie damit konkret anfangen sollen. Da stellt sich bislang noch keiner hin und sagt: „Ich habe eine ganz tolle Idee, wir machen das hier einfach alles mal ganz anders.“ Da wird noch sehr viel ausgetestet: „Meinen die das wirklich ernst? Schön, wenn Herr Weber das sagt. Aber wenn ich zurück in mein Unternehmen zu meinem Bereichsleiter komme, dann ist das eine Realität mit einem anderen Anspruch.“ Das ist bislang eher ein vorsichtiges Herantasten. 

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Wir haben nicht das Budget der großen Konzerne und müssen das  durch menschliche Kreativität und Energie kompensieren.

Christian Weber erklärt den Fishbowl und lädt Mitarbeitende ein, sich zu ihm zu setzen

 

Sebastian Purps-Pardigol: Warum machen Sie es denn? Warum geben Sie die Arbeit an dem Unternehmen an die Mannschaft weiter?

Christian Weber: Gute Frage. Ich glaube, das fängt bei dem Menschenbild an, das ich persönlich definiert habe: Dass ganz viele Menschen – nicht alle – zur Arbeit gehen und gerne ihre Ideen einbringen wollen, eine gewisse Kreativität wollen. Ich glaube, dass das tief in uns steckt. Darüber hinaus gibt es eine unternehmensstrategische Seite: Wir sind zu klein für das große Spiel mit den Großen, für hohe Investitionen in unglaublich große Automatisierungsstrukturen und standardisierte Prozesse – ich habe früher bei Nestlé und Heineken gearbeitet. Das können wir einfach nicht. Das müssen wir durch menschliche Kreativität und Energie kompensieren. Meine feste Überzeugung ist, dass sich diese menschliche Energie nur freisetzen kann, wenn man irgendwie ein Ventil dafür baut. Wenn die Energie in einem Tank gefangen ist, dann passiert auch nix.

Sebastian Purps-Pardigol: Haben Sie Ihren Vater darüber informiert, dass Sie die Arbeit am Unternehmen in die Hände der Mitarbeiter geben? Haben Sie das diskutiert oder hat er das von Anfang an unterstützt?

Christian Weber: Wir haben da bereits einen Prozess hinter uns. Wir haben viel über das Thema Werte und Struktur diskutiert und die Vergangenheit betrachtet. Nach zwei bis drei Jahren hat er mir gesagt: „Du machst das jetzt.“ Wir diskutieren ab und zu darüber, aber er lässt es auch geschehen. Das ist eher ein Prozess, den ich intern mit verschiedenen Verantwortungsträgern und Führungskräften führe.

Sebastian Purps-Pardigol: Sind Sie der Hauptkulturtreiber, oder gibt es noch jemanden, für den definiert wurde: „Treibe du das Thema voran, und ich halte da die Hand darüber?“ 

Christian Weber: Ich bin eher der Impulsgeber auf Gruppenebene, um sicherzustellen, dass das Thema weiter intensiv auf der Agenda bleibt. Und dann kommt es auf die Unternehmen an, die vor Ort das Kulturthema bearbeitet, vor allem an den Standorten, die ein bisschen weiter von unserem Heimatstandort entfernt sind. Dort hat das Thema eine Eigendynamik bekommen, und ich schaue, dass ich regelmäßig zuhöre, Input und Feedback gebe. Ich versuche, das Gesamtrad am Laufen zu halten, ohne in die Einzelthemen einzusteigen. Sonst bekommen die Mitarbeitenden ab einem gewissen Punkt ein „Der Herr Weber hätte das gerne so“-Gefühl. Was zwar auf der Gesamtebene ganz nützlich ist. Aber wenn ich in jedem Unternehmen aktiv mitarbeite und immer meinen Senf dazugeben, dann widerspricht das dem Grundprinzip die Menschen machen zu lassen. 

Sebastian Purps-Pardigol: Haben die Kulturteams in den verschiedenen Organisationen ein starkes Netzwerk? Oder macht jeder sein eigenes Ding, und man trifft sich einmal pro Jahr?

Christian Weber: Bisher haben sie das Netzwerk-Thema noch nicht so richtig aufgegriffen, sie sind noch sehr mit sich selbst beschäftigt. Und man merkt aus der Organistaion heraus, dass sie mehr und mehr Informationen einfordern. Was machen die anderen? Aber den nächsten Schritt haben sie noch nicht so ganz gefunden. Ein Thema, das bei der nächsten Runde diskutiert werden soll, ist, wie die Vernetzung in Zukunft am geschicktesten abläuft, wie die Unternehmen über die Distanzen hinweg verbunden werden. Dieser Schritt zu den anderen Unternehmen bedeutet noch mal mehr Aufwand. Und das dauert noch ein bisschen, glaube ich. 

Sebastian Purps-Pardigol: Könnten Sie Beispiele nennen, welche Themen sich an welchen Standorten gerade herauskristiallisieren?

Christian Weber: Der eine Standort hat sich Kommunikation als wichtigstes Thema gegeben. Informelle Gesprächskreise, klar definierte Projektgruppen, Digitalisierung, immer mit Fokus auf: Wie kommunizieren die hundert Menschen eines Standorts besser über Strategie und Veränderung – untereinander und mit den Führungskräften? Ein anderer Standort hat den Fokus auf etwas anderes gelegt. Die Franzosen haben den Begriff „Performiance“ kreiert, eine Kombination aus „Performance“ und „Ambiente“: Wie gehen wir mit dem Leistungsthema um, mit Kennzahlen, Zielen, Abweichungen, Fehlern? Und wie kombinieren wir das mit einem Prozess der Gegenseitigkeit und der Arbeitsatmosphäre? Da geht es im Moment sehr stark um: Wie gehen wir mit Fehlervermeidung am Arbeitsplatz um?

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Wir haben nicht das Budget der großen Konzerne und müssen das  durch menschliche Kreativität und Energie kompensieren.

Christian Weber erklärt den Fishbowl und lädt Mitarbeitende ein, sich zu ihm zu setzen

 

Die Teilnehmer der Unternehmenswerkstatt transportieren die gemeinsamen erarbeiteten Inhalte in die eigenen Firmen

 

Sebastian Purps-Pardigol: Ist das Thema „digitale Transformation“ etwas, das Karlsberg im Moment vorantreibt, um dem Kulturwandel mehr Druck zu verleihen?

Christian Weber: Es beginnt jetzt so langsam, Realität zu werden. Wobei noch nicht so ganz klar ist, welches die großen Schwerpunktthemen sein werden. Es kristallisieren sich gerade zwei Themen heraus. Zum einen werden unsere Kunden sich verändern. Früher war es ganz normal, dass unser Kunde – der Einkäufer von Rewe – im Jahresgespräch die Vereinbarung trifft und relativ analog Bestellung und Logistiksystem auslöst. Das wird sich in den nächsten Jahren sehr stark verändern. Unser Kunde wird ganz anders sein. Supermärkte werden in Zukunft ihre Bestellvorgänge über künstliche Intelligenz abwickeln. Wie ist dann die Schnittstelle zwischen der künstlichen Intelligenz des Supermarktes und unserer Produktionsstelle mit den Forecasting- und Produktionssystemen? Und der zweite Teil ist: Wo es früher über Papiertransfer und E-Mail-Bestellung ging, da wird es bald einen höheren Automatisierungsgrad geben. Wie werden in der Zukunft einer digitalen Welt bei uns interne Prozesse ablaufen? Wie wird das die Kultur beeinflussen? Ich glaube, das wird vor allem mit der Fragestellung verbunden sein: Mit welchen Themen wollen wir uns primär beschäftigen? Wir wollen identifizieren, was für unser Geschäft tatsächlich wichtig ist, und was eher ein „nice to have“ ist. Da kann man sich ja von der Digitalisierungsberatungsbranche alles und nichts verkaufen lassen. Da muss man für sich selbst erst einmal identifizieren, was man als wichtige Themen begreift. 

Sebastian Purps-Pardigol: Werfen Sie das Thema Digitalisierung in die Werkstätten mit rein, oder entwickeln Sie diese im Führungsteam?

Christian Weber: Ich weiß es noch nicht, ich gehe aber davon aus, dass die Werkstätten das von sich aus reinwerfen. Wir werden die nächste Werkstatt wahrscheinlich um das Thema Entscheidungen herum stricken: Wie werden Entscheidungen getroffen, umgesetzt und in Frage gestellt? Wie gehen wir mit einer festen Entscheidung um? Wie entscheide ich, ob ich ein neues Produkt auf den Markt bringe oder nicht? Wird es ein Chatbot sein, der mir die Daten über die erfolgreichsten, neuesten Produkte in der Getränkeindustrie zusammenstellt? Oder ist es der Vertriebsmitarbeiter, der sagt: „Jetzt haben mich schon drei Kunden auf dies und das angesprochen, jetzt wird es allmählich Zeit, dass wir das mal umsetzen“?

Sebastian Purps-Pardigol: Worum ging es in der zweiten Phase der Arbeit mit Ihren Führungskräften? Sollen diese sich anders verhalten, oder haben Sie mit ihnen an Haltungen oder Persönlichkeitsentwicklung gearbeitet?

Christian Weber: Es ging primär darum, das Gefühl zu vermitteln, dass wir uns als Unternehmen mit Werten beschäftigen, das war ja der Aufhänger. Aber natürlich beschäftigen wir uns auch mit den Führungspersonen, mit ihrer Kompetenz und ihren Fähigkeiten, ihren Einstellungen und Haltungen. Um darauf basierend zu überlegen: Wie wollen wir mit den Thema Führung in Zukunft umgehen?

Sebastian Purps-Pardigol: Das waren also klassische Führungstrainings?

Christian Weber: Die waren schon ziemlich klassisch. Die Inhalte wurden natürlich mit Werten in Verbindung gesetzt. Einer unserer Werte beispielsweise ist Mut, das haben wir verbunden mit klassischen Schulungen zum Thema Feedback und Mitarbeitergespräche. Wenn das Thema Kultur an sich weiter entwickelt wird, dann glaube ich, dass wir dort einen sehr intensiven Arbeitsbedarf haben. Die nächste Generation der Führungskräfte kommt jetzt mehr und mehr in die Verantwortung. Da müssen wir schauen, dass sich die Menschen weiterentwickeln aus ihrer Kompetenz und Persönlichkeit heraus.

Sebastian Purps-Pardigol: Wie gelingt es Karlsberg, die Führungskräfte dafür zu begeistern, diesen Kulturwandel zuzulassen? Denn Kulturwandel bedeutet ja, dass die Führungskraft aus ihrer klassischen „Wir sind hier die Entscheider“-Rolle herausgeholt werden, im Sinne von: „Hey, wenn jetzt Mitarbeiter mitgestalten können, was bin ich dann überhaupt noch?“ Wie gehen Führungskräfte damit um, dass plötzlich ein Paradigmenwechsel der Art und Weise, wie zusammengearbeitet wird, stattfindet?

Christian Weber: Auf der einen Seite gibt es viele Führungskräfte, die sagen: „Ich glaube an einen partizipativen Führungsstil, ich glaube, dass ich mit meinen Leuten darüber diskutieren muss, was wir machen, und ihnen nicht einfach sagen darf, was sie zu tun haben.“ Und dann gibt es eine ganze Reihe von Menschen, die Führung selbst bislang nur als eine direktive Führung erlebt haben. Die warten jetzt erstmal ab und sagen: „Hört sich interessant an, aber ist das wirklich notwendig?“. Und dann gibt es die Menschen, die sagen: „Das ist alles Bullshit!“ Wir brauchen nicht viel Energie darauf zu verschwenden, deren Meinung zu ändern. Entweder sie finden einen Weg, zu sagen: „Das kann ich mittragen“, oder halt nicht. Das Unternehmen und die Menschen im Unternehmen werden sich ganz natürlich weiterentwickeln, und Gruppen von Führungskräften werden sich einfach mit der Erlaubnis, das machen zu dürfen, die Hoheit im Unternehmen über sich selbst sichern. Und dann werden sie viele Menschen mitziehen, einige aber nicht.

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Retrospektiv hätte ich früher damit anfangen können, alle im Unternehmen zu involvieren, die mitmachen wollen.

Sebastian Purps-Pardigol: Wie ist Ihre Fokussierung auf die Menschen entstanden? Haben Sie im Geiste Ihres Großvaters agiert, oder gab es Impulse von außen?

Christian Weber: Ich habe das auch in den Jobs vorher erlebt … wenn viele Dinge passten, wie beispielsweise Strukturen oder Prozesse, dann fragte ich mich: „Okay, jetzt schau mal, ob auch das Team stimmt, ob das die richtigen Leute sind, die die Entwicklung in Zukunft mitgestalten können“. Ich landete ich immer wieder bei der Fragestellung: Wie schaffe ich es, dass die, mit denen ich arbeiten möchte, auch mit mir arbeiten wollen? Daraus entstand eine Idee: Wenn mir das so geht, dann sind auch alle anderen, die in irgendeiner Form Prozess- und Personalverantwortung haben, auf der Suche nach starken Teams und einem guten Miteinander. Damit die Menschen mit der Intensität arbeiten können, mit der sie arbeiten wollen. 

Sebastian Purps-Pardigol: Hatten Sie in den vergangenen Jahren je das Gefühl, dass manche Führungskräfte sich gegen das neue Bild, wie die Unternehmenskultur sein müsste, wehren? Mussten Sie jemanden herausnehmen?

Christian Weber: Das ist ab und zu passiert. Ich glaube, dass die Kultur nur ein Ausdruck der langfristigen Sicht ist, wohin sich Dinge entwickeln. Und das ist eine Kombination aus der Sicht der Dinge, wie die Zukunft sein wird, und was man für diese Zukunft tun muss. Kultur ist die Geschichte, wie Menschen sich anderen Menschen gegenüber verhalten. Das ist der entscheidende Faktor, der für mich zu der Entscheidung führt, ob jemand hier arbeiten sollte oder nicht.

Sebastian Purps-Pardigol: Wie hat sich aus Ihrer Sicht der Faktor Verbundenheit der Menschen untereinander und der Menschen zum Unternehmen in den vergangenen sieben Jahren verändert?

Christian Weber: Ich hoffe mal, positiv. Ganz am Anfang hatten wir einen Strategie-Workshop, und da kristallisierte sich ein Begriff heraus, wie wir unseren Geist beschreiben wollen: „Wir wachsen zusammen“. Eine Kombination aus geschäftlichem Wachstum und dem Thema Verbindung. Und dann haben wir für einen Teil des Unternehmens relativ lange sehr erfolgreich gearbeitet. Das wurde immer wieder thematisiert: Ja, wir wachsen zusammen, wir lernen uns untereinander kennen und bauen Vertrauen auf. Aber gleichzeitig haben uns andere Unternehmensteile, die wir gerade dezentralisiert hatten, komisch angeschaut: „Ihr wachst zusammen, und gleichzeitig betreibt ihr Dezentralisierung?“ Und dann hat sich das Thema Zusammenwachsen in den Hintergrund geschoben. Wir haben alle Unternehmen dezentralisiert und mehr oder weniger die gleiche Struktur reingebracht. Aber jetzt, über dieses „Lebendige Unternehmen“ und das Unternehmenswerkstatt-Thema, kommt der Geist der Verbundenheit etwas zurück. Vorher war der Boden auch nicht reif dafür.

Sebastian Purps-Pardigol: Woran würden Sie erkennen, dass das, was Sie da anschieben, gelungen ist? Was würden Sie sich an harten Fakten wünschen?

Christian Weber: Wenn ich mich morgen hinstelle und sage: „Ich mache das mit der Unternehmenswerkstatt nicht mehr“ – wie würden meine Mitarbeitenden wohl reagieren? Darauf gibt es drei Antworten. Die erste: „Jo, dann ist es halt vorbei.“ Dann stirbt das. Dann gibt es die zweite: „Dann machen wir das weiter.“ Und die dritte Antwort ist: „Dann manchen wir es trotzdem weiter, zusammen mit den anderen Unternehmen im Verbund.“ Einige unserer Unternehmensgruppen antworten klar mit der ersten Antwort, andere mit der zweiten. Die dritte Antwort habe ich noch nicht erlebt. Aber meine Hoffnung ist, dass das funktioniert, ohne dass ich viel antreiben muss, und ohne dass ich versuche, es vor Querschüssen zu schützen. Das Thema Kulturwandel würde für mich funktionieren, wenn die Menschen es aus sich heraus im Unternehmen weitertreiben und Ideen entwickeln, wie sie in Zukunft zusammenarbeiten wollen. 

Sebastian Purps-Pardigol: Wenn man will, dass Menschen sich mit Unternehmenskultur beschäftigen, muss man ihnen klarmachen, warum das Sinn macht. Auf welche Art und Weise kommunizieren Sie an Ihre 1300 Mitarbeitenden, warum Sie sich mit diesem Thema beschäftigen?

Christian Weber: Ganz viel klassische Kommunikation: Briefe schreiben, Betriebsversammlungen, Road Shows, Workshops, Reden – immer wieder an den verschiedenen Kommunikationspunkten reden. Und immer wieder den Anstoß geben, dass die Menschen miteinander über das Thema sprechen. 

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Retrospektiv hätte ich früher damit anfangen können, alle im Unternehmen zu involvieren, die mitmachen wollen.

Ein Einblick in die Unternehmenswerkstatt 2017

 

Sebastian Purps-Pardigol: Was hätten Sie rückblickend in den vergangenen sieben Jahren anders gemacht?

Christian Weber: Ich hätte früher damit angefangen, alle im Unternehmen zu involvieren, die mitmachen wollen, anstatt sehr stark mit den Führungskräften zu arbeiten und zu hoffen, dass diese die Botschaft weitertragen. Da ist der Weg zu weit.

Sebastian Purps-Pardigol: Welche Frage beschäftigt Sie beim Thema Kulturwandel derzeit am Meisten?

Christian Weber: Was mich im Moment umtreibt: Kulturwandel ist ja ganz nett in Zeiten, wo es sehr gut läuft oder in Zeiten, in denen man gerade im Umstrukturierungsprozess ist. Aber die Frage ist: Wie geht man mit dem Thema um, wenn dafür gerade keine Zeit ist? Wie macht man es, dass Unternehmenskultur zu einer ganz normalen, alltäglichen Thematik wird, dass sie kein Sonderprojekt mehr ist? Da ist das Tagtägliche, und obendrauf das Kulturthema. Das Verhalten untereinander, die Prozessabläufe, das ganz normale tägliche Miteinander-arbeiten-müssen, das ist für mich die größte Herausforderung. 

Sebastian Purps-Pardigol: Und was wäre ein guter Weg, dass das gelingt?

Christian Weber: Das Kulturthema in tagtägliche Abläufe einfließen zu lassen. Damit man es nicht als ein „Nice to have“ begreift, muss man es an ganz konkreten Themen festmachen: Wie werden Entscheidungen getroffen? Wie werden Abläufe verändert? Wie machen wir Produktentwicklung basierend auf den Prinzipen, die wir uns gegeben haben? Wie setzen wir sie um in der Realität? Dann kann Produktentwicklung nicht mehr durch ein paar wenige im Unternehmen umgesetzt werden, dann muss sie ein breit aufgestellter Prozess sein. 

Sebastian Purps-Pardigol: Sie haben also Ihre Prinzipen, im Moment werden diese aber noch nicht überall angewendet. Sie müssten die Prinzipien im Grunde genommen standardisieren, so dass sie überall integrierbar sind.

Christian Weber: Das ist im Moment die Idee. Vielleicht nicht überall, aber in den elementaren Prozessen. Wie werden Menschen eingestellt, wie werden neue Maschinen, Budgets verteilt, Strategien definiert? Wenn es ein Grundprinzip ist, dass die Menschen im Unternehmen, die an Prozessen mitarbeiten wollen, auch die Möglichkeit dazu haben, dann muss man das für die grundsätzlichen Abläufe im Unternehmen anwenden und sagen: Was bedeutet das denn jetzt für die Rekrutierung von Mitarbeitern? Für die Jahresbudgetplanung? Muss sich da was ändern oder ist es okay, wie es läuft?

Sebastian Purps-Pardigol: Sie schauen sich jetzt also alle Prozesse an, mit denen Sie nach den neuen Prinzipien arbeiten können? Und dann beginnen Sie, die neuen Prinzipien zu integrieren?

Christian Weber: Besser gesagt, wir sagen den Menschen: „Ich lade euch ein, eure Prozesse anzuschauen und mir eure Meinung dazu zu sagen. Gibt es Prozesse, die ihr verändern wollt?“ Ich will mich nicht hinstellen und sagen: „Meine Meinung ist: In Zukunft sollten viel mehr Menschen involviert sein, wenn wir Personal anstellen wollen.“ Das ist von oben herab. Wenn aber eine Gruppe im Unternehmen sagt: „Wir haben uns überlegt, wir würden uns gerne mit dem Rekrutierungsprozess beschäftigen“, dann sollten sie die Möglichkeit dazu bekommen. Und dann sollen sie den anderen im Unternehmen, die es vielleicht nicht als wichtig erachten, davon erzählen. Und dann den Austausch ermöglichen. Das wird schwer sein, weil es natürlich auch mein Impuls ist, zu sagen: „Das ist meine Meinung. Wenn ihr mich fragt, würde ich mit den Prozess so und so anfangen.“ Aber das ist gefährlich. Und inkonsequent.

Sebastian Purps-Pardigol: Was hat Sie bisher davon abgehalten, das, was Sie gerade beschrieben haben, anzuschieben?

Christian Weber: Die Zeit (lacht). Und der Aufwand und die Ressourcen. Es ist eine Abwägung zwischen vielen vielen Themen, die alle gleichzeitig funktionieren sollen.