HOCHBAHN | Christian Langrock
Christian Langrock arbeitet bei der Hamburger Hochbahn AG (HHA) im Bereich Geschäftsfeldentwicklung und treibt dort eine der strategischen Initiativen der Unternehmensstrategie voran: Innovation. Er beschäftigt sich mit der Frage, wie die Menschen in dem Unternehmen in der Zukunft (anders) miteinander zusammen arbeiten sollten, um die Herausforderungen der Zukunft besser meistern zu können. Langrock fragt sich seitdem, wie es gelingt, ein agiles Mindset in die Organisation zu bekommen. Eines der prominentesten Projekte war die „Platzampel“: In einer Umfrage erklärten die Kunden, dass sie eine Anzeige der noch freien Plätze in den jeweiligen Wagen vor dem Einsteigen durchaus begrüßen würden. In der Realität mit einem günstig produzierten Prototypen zeigte sich: So ein Angebot wird nicht so stark wie erwartet angenommen.
1911 gegründet, ist die HOCHBAHN eines der größten Nahverkehrsunternehmen in Deutschland und beschäftigt rund 5.000 Mitarbeitende. Eigentümer ist die Stadt Hamburg. Die HOCHBAHN erwirtschaftet rund eine halbe Milliarde Euro Umsatz und befördert in ihren Bussen 213 Millionen und auf den Schienen 242 Millionen Passagiere. In dem Gespräch mit Christian Langrock gehen wir bewusst auf eine sehr tiefe, detaillierte Ebene, um zu verstehen, wie konkret eine Form der Umsetzung einer neuen Form der Zusammenarbeit aussehen kann.
Christian Langrock arbeitet bei der Hamburger Hochbahn AG (HHA) im Bereich Geschäftsfeldentwicklung und treibt dort eine der strategischen Initiativen der Unternehmensstrategie voran: Innovation. Er beschäftigt sich mit der Frage, wie die Menschen in dem Unternehmen in der Zukunft (anders) miteinander zusammen arbeiten sollten, um die Herausforderungen der Zukunft besser meistern zu können. Langrock fragt sich seitdem, wie es gelingt, ein agiles Mindset in die Organisation zu bekommen. Eines der prominentesten Projekte war die „Platzampel“: In einer Umfrage erklärten die Kunden, dass sie eine Anzeige der noch freien Plätze in den jeweiligen Wagen vor dem Einsteigen durchaus begrüßen würden. In der Realität mit einem günstig produzierten Prototypen zeigte sich: So ein Angebot wird nicht so stark wie erwartet angenommen.
1911 gegründet, ist die HOCHBAHN eines der größten Nahverkehrsunternehmen in Deutschland und beschäftigt rund 5.000 Mitarbeitende. Eigentümer ist die Stadt Hamburg. Die HOCHBAHN erwirtschaftet rund eine halbe Milliarde Euro Umsatz und befördert in ihren Bussen 213 Millionen und auf den Schienen 242 Millionen Passagiere. In dem Gespräch mit Christian Langrock gehen wir bewusst auf eine sehr tiefe, detaillierte Ebene, um zu verstehen, wie konkret eine Form der Umsetzung einer neuen Form der Zusammenarbeit aussehen kann.
Anderer Mindset durch andere Räume
Sebastian Purps-Pardigol: Warum ist es aus Ihrer Perspektive so wichtig, bei den Mitarbeitern der Hamburger Hochbahn AG einen Change of Mindset, also einen Wandel in der Geisteshaltung, zu erreichen?
Christian Langrock: Grundsätzlich sehe ich es so, dass der öffentliche Nahverkehr, wie man ihn kennt, durch neue Mobilitätsdienstleistungen stark beeinflußt wird. Hinzu kommen auch andere gesellschaftliche Themen: Auf einmal diskutiert man über den Dieselskandal, und SUV fahren ist nicht mehr nur noch sexy. Da bekommt man eine ganz andere Sicht auf den öffentlichen Nahverkehr und die neuen Sharing-Anbieter. Zudem kommen Themen der digitalen Transformation auf uns zu, aus der sich technisch ganz neue Möglichkeiten ergeben. Diese externe Faktoren bringen uns zu der Frage: Wie können wir bei der Hochbahn Innovationsprojekte noch stärker vom Kunden her vorantreiben? Zum Vergleich: Vor vielen Jahren hießen die Kunden bei uns noch „Beförderungsfälle“. Danach hießen sie Fahrgäste, jetzt heißen sie Kunden. Ich glaube, das drückt ganz gut aus, wie sich dieser Wandel auch intern niedergeschlagen hat. Und so kommt es, dass wir heute merken: Wir brauchen die Agilität im Denken und Handel, um den aktuellen und zukünftigen Anforderungen gerecht zu werden.
Sebastian Purps-Pardigol: Was genau ist die Triebfeder? Gibt es bei der Hamburger Hochbahn die Befürchtung, dass das Unternehmen den Anschluss verpasst, wenn es sich nicht verändert? Oder ist es eher eine Vision, wie es besser sein könnte oder eher ein Einsichtsmoment wie „Uns geht es im Moment zwar super, aber bei den laufenden Entwicklungen dauert es nicht mehr lange, bis wir gechallenged werden.“
Christian Langrock: Ich glaube, es ist eine Mischung aus allem. Ja, wir haben eine klare Vision. Es geht nicht darum, dass die HOCHBAHN als Unternehmen des ÖPNV sich den neuen Dienstleistern entgegenstellen will. Wir sehen es eher so, dass es nur multimodal zu schaffen ist, die PKWs aus der Stadt zu verbannen. Wenn wir zusammen mit den neuen Spielern am Markt ein gutes Angebot erschaffen, dann schaffen wir es irgendwann, dass die Hamburgerinnen und Hamburger kein privates Auto mehr benötigen. Im Moment ist es ja so, dass in Statistiken öffentlicher Nahverkehr, Car-Sharing und Fahrrad getrennt aufgeführt werden. Wir glauben: Alle zusammen müssen so ein so gutes und smartes Angebot schaffen, dass der Kunde irgendwann merkt: „Ich brauche ja gar kein eigenes Auto mehr.“ Die Automobilhersteller haben bereits heute teilweise das Problem, dass sie ihre Karosserien nicht mehr verkaufen können. Deshalb arbeiten sie an Angeboten wie „car2go“ oder „Drive now“. Da sie bemerken, dass ihr Kernmarkt rückläufig ist, drängen sie in fremde Märkte. Auf der anderen Seite sehen wir ja auch, dass wir alleine es in hundert Jahren nicht geschafft haben, den Individualverkehr weitestgehend abzulösen. Darum ist unsere Vision genau richtig: Wir versuchen zusammen mit anderen neuen Mobilitätsangeboten die private genutzten Autos aus der Stadt zu verbannen.
Sebastian Purps-Pardigol: Ist das eine Vision Ihres Vorstands, oder ist es eine Vision, die von der Mannschaft mit entwickelt wurde?
Christian Langrock: Das ist eine Vorstandsvision. Sie wurde dort entwickelt – natürlich innerhalb der Führungsmannschaft und nicht im stillen Kämmerchen. Aber es ist nicht so, dass sie basisdemokratisch entstanden ist.
Sebastian Purps-Pardigol: Pleasure & pain sind starke Motoren des Wandels. Die Vision ist für sie „pleasure“. Aber gibt es bei der Hamburger Hochbahn auch so etwas wie „pain“, dass Sie Angst haben, etwas zu verlieren?
Christian Langrock: Unser Kerngeschäft – das ist ja das Gute bei der Hochbahn – funktioniert extrem gut. Bei Pünktlichkeit, Sauberkeit und Kundenzufriedenheit haben wir schon jetzt sehr gute Werte. Das schützt uns aber nicht davor, dass uns Mobilitätskonzepte, die rein wirtschaftlich ausgerichtet sind – und da sind wir ja ein bisschen anders unterwegs – irgendwann einmal Konkurrenz machen könnten. Darum wollen wir jetzt schon mal schauen, wie wir uns zukünftig aufstellen.
Die Schritte des Design Thinking
Sebastian Purps-Pardigol: Design Thinking ist ein Tool, mit dem die Hamburger Hochbahn begonnen hat, sich den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen zu stellen. Wie ist es dazu gekommen, dass Sie sich so konkret für Wege wie Design Thinking und agile Zusammenarbeit entschieden hat?
Christian Langrock: Es gibt sicherlich Alternativen. Es ist ja nicht so, dass das Design Thinking die einzig agile Methode ist. Wir arbeiten zum Beispiel in der IT mit der agilen Entwicklungsmethode Scrum. Der klare Vorteil vom Design Thinking ist: Es hilft, radikal vom Kunden her zu denken, die Probleme der Kunden zu lösen und dabei bereichsübergreifend zu denken. Dazu gehört auch ein „Fail Fast“, das frühe Erkennen von Fehlern bei der Entwickelung von Prototypen. Da haben wir jetzt schon erfolgreiche Fallbeispiele, wo wir in der Vergangenheit wohl erst viel später gescheitert wären. Jetzt arbeiten wir im Design Thinking Prozess, ganz anders als viele Hochbahner es bisher gewohnt waren. Wir sind ein sehr ingenieurlastiges Unternehmen – ich selbst bin ja auch Ingenieur, ich kenne das. Bei dem derzeitigen schnellen technologischen Wandel ist das aber nicht immer das beste Mittel, komplexe Themenstellungen mit den tradierten Methoden anzugehen.
Sebastian Purps-Pardigol: Wie waren die ersten Schritte damals? Was ist geschehen zwischen dem Herbst 2017, als Sie bei der Hochbahn das Thema übernommen haben, und dem Moment, als Sie begannen 14 Kollegen mit Design Thinking arbeiten zu lassen?
Christian Langrock: Da war durchaus Vorarbeit nötig. Zunächst habe ich ein interdisziplinäres Team gegründet. Wir nennen uns das „Transition-Team“, das sich aus den verschiedensten Bereichen zusammensetzt – mit Vertretern aus dem Personalbereich, Kommunikation, Organisation, Geschäftsfeldentwicklung. Zusammen haben wir überlegt, wie wir das Thema Agilität am Besten in die Hochbahn integriert bekommen. Da gibt es ja keine Blaupause, da jedes Unternehmen seine eigenen Herausforderungen hat. Darum haben wir gesagt: Wir müssen Dinge neu ausprobieren, und dazu brauchen wir ein agiles Mindset. Aus unserer Sicht bringt es wenig, eine Zwei-Tages-Schulung für alle Hochbahner anzubieten. Wir haben gesagt: Um tatsächlich zu verinnerlichen, was wir da machen, und um ernsthafte Arbeitsergebnisse zu erhalten, brauchen wir längere Zeiträume. Wir nehmen zum Beispiel diese 14 Kollegen – für sechs Wochen komplett aus ihrem Arbeitsbereich heraus und lassen Sie in die Welt des Design Thinkings eintauchen. Übrigens: Jeder, der bei der Hochbahn arbeitet, hat die Möglichkeit, dort mitzumachen. Es geht uns ja nicht darum, eine Elite zu bilden. Es gibt einen Auswahlprozess, in dem es nicht um die fachlichen Fähigkeiten geht, sondern um Persönlichkeitsmerkmale, damit wir für eine bestimmte Problemstellung das „ideale“ Team zusammenstellen können. Nach diesem Auswahlprozess haben wir zwei Teams mit 14 Kollegen zusammen gestellt. Gestartet sind wir mit den Themen „Orientierung am Bahnsteig“ und dem „Anmeldeprozess der Busfahrer“. Diese Themen bewegen die HOCHBAHN schon länger, doch vorher wurde keine passenden Lösungen gefunden. Oder anders gesagt: Mit den neuen Methoden konnten wir den Bedarf einfach anders begründen und entsprechend Lösungen erarbeiten. Diese Themen haben wir für sechs Wochen in einem Design Thinking-Prozess bearbeitet. Und zum Schluss werden dem „Investor“ – das ist einer der Bereichsleiter, der das Thema eingebracht hat – die Ergebnisse präsentiert. Im Idealfall werden diese prototypischen Ergebnisse dann vom Investor in seine Arbeitswelt übernommen und weiter entwickelt.
Sebastian Purps-Pardigol: Wer findet die Themen, die bearbeitet werden sollen: der Vorstand, das Transition-Team oder der Investor?
Christian Langrock: Wir als Transition-Team sind offen für Themen aus allen Bereichen. Zusammen mit dem Investor bzw. Bereichsleiter wird geschaut: Ist dieses Thema für so einen Sechs-Wochen-Sprint geeignet? Welche Mitarbeiter haben wir im Pool, und wie gehen wir das Thema an? Danach informieren wir den Vorstand, der hat dann ein Veto-Recht. Davon hat er bisher noch kein Gebrauch gemacht. Das ist eigentlich eher zur Information.
Sebastian Purps-Pardigol: Bedeutet das, dass das Transition-Team von Beginn an bis heute die agile Arbeit steuert?
Christian Langrock: Genau. Wir als Transition-Team – verstehen uns weniger als ein Projekteam, sondern eher als ein Prozessteam – und wir arbeiten auf der Meta-Ebene. Wir haben in den bisherigen Durchgängen immer viel dazugelernt. Wir bekommen ja immer wieder Feedback von den Teammitgliedern und den anderen Stakeholdern. Mit diesem Wissen passen wir nicht nur den Sechs-Wochen-Sprint an, sondern entwickeln das gesamte Thema weiter. Das mit den sechs Wochen ist cool, weil die Mitarbeiter sich dem Thema zutiefst widmen können und ganz draußen sind aus ihrem Arbeitsalltag. Aber damit erreichen wir nicht alle Hochbahner. Auch Führungskräfte sollen in den Teams mitarbeiten, aber für sie ist es extrem schwer sechs Wochen kompett raus zu gehen. Darum entwickeln wir derzeit ein anderes Format: den „Wochen-Sprint“ – das ist ein Zeitraum in dem auch Führungskräfte mitmachen würden. Denn es ist natürlich wichtig, dass auch sie die Möglichkeit haben, praktische Erfahrung mit Design Thinking zu machen.
Sebastian Purps-Pardigol: Bedeutet das, dass alle bisherigen Teilnehmer Menschen waren, die nicht in einer Führungsposition sind? Oder haben Führungskräfte teilgenommen, und Sie haben gemerkt, wie schwierig das ist?
Christian Langrock: Wir hatten bereits einige wenige Führungskräfte dabei. Aber viele Führungskräfte haben gesagt: „Das ist total cool, und wir würden gerne mitmachen. Wir möchten diese agile Welt auch mal praktisch erleben, aber ich schaffe es nicht, mich für sechs Wochen aus meinem Bereich rauszunehmen.“ Darum versuchen wir jetzt, Alternativen zu schaffen.
Sebastian Purps-Pardigol: Wieviele Kollegen sind da jeweils drin, in so einem Sprint?
Christian Langrock: Wir gehen nach der Zwei-Pizza-Regel von Amazon-CEO Jeff Bezos vor: „Laden Sie nie mehr Teilnehmer zum Meeting ein, als Sie mit zwei Pizzas satt bekommen könnten.“ Also zwischen fünf und sieben Personen.
Sebastian Purps-Pardigol: Schreiben Sie die Teilnahme an den Sprints aus? Gibt es danach ein Assessment?
Christian Langrock: Ja, wir veranstalten regelmäßig Schnupper-Workshops, wo wir das Thema Agilität beleuchten und geben dann zunächst einen Überblick zum Prozess des Design Thinking mit Hilfe von Praxisübungen. Das sind zwei bis drei Stunden, in denen die Mitarbeiter die Chance bekommen das Thema kennenlernen. Wenn die Teilnehmer weiterhin neugierig auf das Thema sind, können sie sich mit einem kurzen Zweizeiler für einen halbtägigen Orientierungstag bewerben. Im Orientierungstag bekommen die Teilnehmer eine fiktive Aufgabenstellung um tiefer ins Design Thinking einzutauchen. Wir schauen uns mit einem Beobachterteam die Kollegen an und versuchen, Persönlichkeitsmerkmale herauszufinden. Denn wir wollen im Team nicht nur Extrovertierte und Querdenker haben, wir brauchen auch Teammitglieder, die gerne organisieren und introvertierte Kollegen, wenn wir die bestmögliche Mischung bekommen wollen. In dem Prozess geht es nicht darum nach Gut und Schlecht zu filtern, sondern beide Seiten sollen für sich erkennen: „Ist das eine Arbeitsweise, die für mich sinnvoll ist?“ Viele, die von außen gucken, denken, dass das ein total unkoordinierter Prozess ist. Aber wie anstrengend und herausfordernd das Ganze sein kann, das merkt man meistens erst, wenn man danach arbeitet. Und daher gibt es zum Abschluss des Tages ein Feedbackgespräch. Da wird der Tag von beiden Seiten reflektiert.
Sebastian Purps-Pardigol: Wieviele der Menschen, die am Orientierungstag teilnehmen, dürfen später in den Prozess mit reingehen?
Christian Langrock: Bei etwa 10 – 15 Prozent der Kollegen merken wir oder sie selbst: Diese Art der Arbeitsweise passt einfach nicht so richtig zu ihnen. Das sind Kollegen, bei denen es keinen Sinn macht mit agilen Methoden zu arbeiten. Aber mit 85 – 90 Prozent der Kollegen kommen weiter. Diese werden Teil des Mitarbeiterpools.
Sebastian Purps-Pardigol: Welche Themen gibt es noch außer „Orientierung am Bahnsteig“?
Christian Langrock: Den Anmeldeprozess der Busfahrer, genauer gesagt: das Terminal, an dem sie sich vor ihrem Dienst anmelden. Viele Informationen werden nicht gebündelt. Da wollten wir aus der Sicht des Busfahrers herausfinden, wie man das besser strukturieren und gegebenenfalls in das Anmeldeterminal übernehmen kann. Darüber hinaus gab es das interne Thema des Ideenmanagements. Da wollen wir mit agilen Arbeitsweisen schauen: Ist das bisherige System noch State of the Art, und was könnte man daran verbessern? Brauchen wir das Ideenmanagement noch so, wie es seinerzeit bei der Hochbahn als Softwarelösung eingeführt wurde?
Beim letzten Thema ging es um die Mitarbeitermobilität. Dabei ging es um Folgendes: „Wie schaffen wir es intern, dass möglichst alle Hochbahner ihr Auto zuhause stehen lassen können?“
Ein Prototyp der Platzampel wird installiert
Sebastian Purps-Pardigol: Gibt es konkrete Fail Fast-Ideen, wo Sie gemerkt haben: Das funktioniert gar nicht?
Christian Langrock: Ja, es gibt ein Thema, das wir mit agilen Methoden bearbeitet haben: die Platzampel. Die Idee gehört zum Thema „Orientierung am Bahnsteig“. An den beiden Ein- und Ausgängen stauen sich die Fahrgäste, während in der Mitte des Zuges meistens ein größeres Platzangebot herrscht. Die Frage war also: „Wie könnten wir das Problem der ungleichmäßigen Auslastung des Zuges verändern?“ Die Lösung war eine Art Platzampel: Oberhalb des Bahnsteiges wird für die einfahrende Bahn mit Rot-Gelb-Grün die Auslastung des einzelnen Wagens angezeigt. Das haben wir mit agilen Methoden entwickelt. Dann haben wir Nutzerbefragungen gemacht, Rückläufe bekommen und geschlussfolgert: „Okay, das ist für bestimmte Personengruppen sehr interessant!“ Danach sind wir einen Schritt weitergegangen. Wir sind aus den Einzelbefragungen rausgegangen, haben einen Film erstellt, diesen auf Facebook geteilt und gefragt: „Was haltet ihr von diesem Lösungsansatz?“ Da war das Feedback eigentlich sehr positiv. Früher hätten wir vielleicht gesagt: Da müssen wir jetzt eine technische Lösung finden, danach ausschreiben, einen technischen Dienstleister reinholen und versuchen, das Ganze an einer Einzelhaltestelle einzuführen. Mit der agilen Arbeitsweise und Fail Fast sind wir aber anders vorgegangen. Wir haben erst einen relativ einfachen Prototypen gebaut – ein LED-Band als Ampel. Dann haben wir diesen ersten Platzampel Prototypen an einer Haltestelle installiert und Studenten eine Haltestelle vor der Testhaltestelle platziert, um pro Wagen zu sagen: „Der ist voll, der ist leer“. Dann haben wir entsprechend Rot-Gelb-Grün geschaltet und beobachtet, wie die Nutzer darauf reagieren. Am Ende haben wir die Nutzer interviewt und festgestellt, dass das Verhalten der Menschen ein anderes ist als das, was sie aussagen. Zu Stoßzeiten, wenn viele Pendler unterwegs sind, sind diese Personengruppen weniger bereit, zwei oder drei Wagen weiter nach links oder rechts zu gehen, um dort einen Sitzplatz zu bekommen. Das sind die sogenannten Bahnsteig-Optimierer, die genau wissen, wo sie stehen müssen, um dann an der Zielhaltestelle möglichst schnell entweder umsteigen oder zum Ziel gelangen.
Sebastian Purps-Pardigol: Ist das Thema Platzampel damit gescheitert?
Christian Langrock: Gescheitert würde ich nicht sagen. Aber wir haben relativ früh die Erkenntnis gewonnen, dass diese Lösung zum heutigen Zeitpunkt so nicht funktioniert. Und wir trauen uns, solche Dinge abzumoderieren.
Sebastian Purps-Pardigol: Ist das neu?
Christian Langrock: Ja, das ist für die Hochbahn relativ neu. Ich glaube, für viele etablierte Unternehmen ist es ab einem bestimmten Punkt schwierig, ein Projekt abzumoderieren. Wir haben bewiesen, dass man das machen kann. Das heißt nicht, dass die Platzampel für immer tot ist. Aber solange sich die Rahmenbedingungen nicht ändern, brauchen wir darüber nicht wieder zu sprechen.
Sebastian Purps-Pardigol: Bedeutet „abmoderiert“, dass die Hamburger Hochbahn das Projekt öffentlich abgesagt hat? Und das, nachdem sie erst aufwendig gefragt hat: „Was haltet ihr davon?“
Christian Langrock: Die Medien sind stark auf das Thema angesprungen. Wir haben dazu sogar ganz offensiv ein Pressegespräch geführt – auch das hat es vorher so noch nicht gegeben. Wir haben die Ergebnisse des Prototypen erläutert und offen gesagt, was das für uns bedeutet: Prinzipiell geben wir das Ziel nicht auf, dass sich die Fahrgäste in der U-Bahn besser verteilen. Aber wir erkennen an, dass dieser Ansatz so nicht funktioniert hat, und darum verabschieden wir uns davon.
Ein Prototyp der Platzampel wird installiert
Wir haben relativ früh die Erkenntnis gewonnen, dass diese Lösung zum heutigen Zeitpunkt so nicht funktioniert. Und wir trauen uns, solche Dinge abzumoderieren.
Phase 5: Ein Prototyp entsteht
Sebastian Purps-Pardigol: Was hat Sie dazu geführt, dieses Pressegespräch zu führen?
Christian Langrock: Schon die ersten Befragungen in den sozialen Medien haben viel Aufmerksamkeit erzeugt, obwohl wir gar keine aktive Pressearbeit gemacht haben. Wir haben uns hier auf den direkten Austausch mit den Kunden fokussiert. Da das Interesse dann immens war, haben wir es auch Richtung Presse begleitet und berichtet, wie es läuft.
Sebastian Purps-Pardigol: Nochmal ein Sprung zurück zu dem Prozess: Wie funktioniert die Arbeit in den Design Thinking-Teams? Gibt es klare Rollen und Regeln, vergleichbar mit Scrum? Oder macht jeder alles?
Christian Langrock: Bei uns gibt es klare Rollen. Das zeigt nochmal, wie ernsthaft wir unterwegs sind. Wir stellen nicht die Teams zusammen und sagen: „So und so ist der Prozess und lassen sie danach alleine“. Es gibt immer ein bis zwei Coaches, die die Teams betreuen. Denn die Kollegen kennen ja die Methodik nicht. Anfangs wissen sie nicht, wie man eine „Review“ oder eine „Retro“ durchführt und zu welchem Zeitpunkt man welche Tools nutzt. Darum gibt es in der Geschäftsfeldentwicklung zwei Coaches, die durch externe Coaches ausgebildet werden, bis sie über ein Train the Trainer-Konzept soweit sind, dass sie selbst neue interne Kollegen ausbilden können.
Sebastian Purps-Pardigol: In dem Team gibt es also zwei Menschen, die den Prozess im Blick haben, die Coaches. Welche anderen Rollen gibt es?
Christian Langrock: Die übrigen Rollen geben sich die Teammitglieder selbst. Der Prozess ist relativ klar: Es gibt den Problem- und den Lösungsraum mit den sechs Phasen. Pro Phase gibt es dann eine Menge Tools zur Auswahl. Und in jeder Phase entscheidet das Team: Wie gehen wir jetzt vor? Wer hat welche Rolle? Zu Beginn der sechs Wochen versucht jeder erstmal, sich selber einzuordnen: Wie sehe ich mich? Bin ich ein Querdenker, bin ich jemand, der gerne organisiert, oder bin ich derjenige, der besonders extrovertiert ist? Daraus ergibt sich im Verlauf der Zeit sowohl die eigene Rolle als auch eine Wertschätzung für andere Rollen, die man selber erstmal gar nicht ausfüllen kann.
Phase 5: Ein Prototyp entsteht
Wenn wir agiles Arbeiten oder eine Kreativmethode einführen wollen, dann schaffen wir das nicht in den typischen Hochbahn-Räumlichkeiten.
Sebastian Purps-Pardigol: Und das Team trifft sich im Zeitraum von sechs Wochen in bestimmten Räumlichkeiten? Wie genau findet das statt?
Christian Langrock: Das war ein sehr wichtiger Punkt, bei dem wir gesagt haben: Wenn wir agiles Arbeiten oder eine Kreativmethode einführen wollen, dann schaffen wir das nicht in den typischen Hochbahn-Räumlichkeiten. Es muss eine passende Umgebung für solche Kreativ-Prozesse geschaffen werden. Aus unserer Sicht sind ja drei Dinge für das Gelingen notwendig: die Menschen, die Räumlichkeiten und der Prozess. Die Räumlichkeiten sind also ein extrem wichtiger Faktor. Deswegen haben wir neue Räumlichkeiten angemietet und umgebaut, knapp 300 Quadratmeter mit einer „Mensa“ als Begegnungsraum, zwei Team-Räumen, mit einem großen „Hörsaal“ mit Podest, wo auch mal etwas vor einer größeren Anzahl von Kollegen präsentiert werden kann. Dann gibt es noch einen Aktivitätsraum mit Tischtennisplatte, wo man ein bisschen den Kopf freikriegen kann. Das sind komplett andere Arbeitsumgebungen als man sie bei der Hochbahn typischerweise kennt. Und extrem wichtig für einen Kreativprozess.
Sebastian Purps-Pardigol: Was passiert mit den Menschen, die sechs Wochen lang so eine Arbeit erleben, und die danach in die normalen Strukturen und Prozesse zurückkehren?
Christian Langrock: Da gibt es die ganze Bandbreite. Die einen sagen: „Ganz schön anstrengend, was bin ich froh, dass ich endlich in meinen alten Bereich zurückkomme.“ Wir hatten aber auch eine Kollegin, die hat fast geweint. Sie sagte: „Ich möchte gar nicht mehr anders arbeiten.“ Das ist das Spannungsfeld, in dem wir uns bewegen. Wir wollen ja nicht, dass in diesen Räumlichkeiten isoliert nach agilen Methoden gearbeitet wird, und dann ist alles wieder wie vorher. Die Herausforderung ist, das in die Bereiche zu übertragen: Wie kann ich mit dem Prozesswissen, mit dem Mindset zukünftig Themen aus meinem Bereich anders angehen? Ich kann und muss ja nicht alles mit Design Thinking erschlagen. Schon allein, wenn man sagt: „Ich gehe nicht rein nach Fachlichkeiten und hole mit nur die Fachexperten aus meinem Bereich, sondern ich hole mir für ein Thema auch mal Kollegen aus anderen Bereichen dazu, weil sie eine komplett andere Sichtweise auf dieses Thema haben. Das ist bereichernder als wenn sich nur Fachexperten um ein Projekt kümmern, fördert die Diversität und führt meist auch zu besseren Ergebnissen.
Sebastian Purps-Pardigol: Ist es die Aufgabe des Transition-Teams, die Erfahrungen des Design Thinking-Team in die Organsation übertragen?
Christian Langrock: Ja, das ist die Aufgabe des Transition-Teams. Ich baue immer gern ein Spannungsdreieck auf, ähnlich wie man es vom Projektmanagement her kennt. Dort heißt es ja: Es gibt einen Zielkonflikt zwischen Qualität, Zeit und Budget. Analog dazu gibt es bei uns den Zielkonflikt zwischen der Innovationsfähigkeit, dem Mindset / Kultur, und der Nachhaltigkeit. Wie also kriegen wir das agile Element aus den agilen Räumen in die Organisation übertragen? Derzeit entwickeln wir ein Mentoren-Programm. Wer als ehemaliger agiler Mitarbeiter, als sogenannter Alumni wieder in den Bereich zurückgeht, wird von einem Coach begleitet. Zusammen schauen sie, welche Projekte und Themenstellungen es in seinem Bereich gibt, welche davon sich über agile Arbeitsmethoden lösen lassen und für welche klassische Projektmanagement-Methoden geeigneter sind. Als nächstes folgt ein Scoping-Workshop. Im dem Workshop wird detaillierter über die Themenstellung gesprochen und wer weiter an dem Thema mitarbeiten kann. Und dabei ist dann ganz schön zu sehen, dass es inzwischen einen recht großen Alumni-Kreis gibt. Das sind mittlerweile über 40 Mitarbeiter, die alle schon den Sechs-Wochen-Zyklus durchlaufen haben. Die sind methodisch super geschult und haben Lust, sich weiter mit dem Thema zu beschäftigen. So kriegen wir relativ schnell ein gutes Team zusammen, wenn der Bedarf an Design Thinking Workshops in den Bereichen entsteht.
Sebastian Purps-Pardigol: Wie viele Antagonisten gibt es – Menschen, die sagen: „Bleib mir weg mit diesem agilen Quatsch, so wie es bis jetzt immer war, war es immer gut“?
Christian Langrock: Mit konkreten Zahlen wird es da schwierig. Aber klares Ja: Solche gibt es. Wir versuchen, über Modelle wie das Cynefin-Framework zu zeigen, dass Agilität nicht die Lösung für alles ist. Wir müssen uns jedes Mal neu genau anschauen, was für ein Problem wir da haben, ist es kompliziert oder komplex. Es macht ja keinen Sinn, die Planung einer U-Bahn oder irgendwelche Bauprojekte agil umzusetzen. Bei komplexeren Themen jedoch – wo das Ziel noch gar nicht so richtig klar ist, wo wir nur die Problemstellung kennen oder wo sich die technischen Rahmenbedingungen viel schneller ändern als wir es bisher gewohnt sind – da kommt man mit agilen Methoden weiter. Und es gibt eine ganze Bandbreite von Mitarbeitern und Führungskräften, die dem offen gegenüberstehen. Deswegen war es aus unserer Sicht gut, mit einem aufwändigen Sechs-Wochen-Zyklus anzufangen und den Hochbahnern über echte Ergebnisse zu zeigen, dass es für die Methode eine Berechtigung gibt.
Sebastian Purps-Pardigol: Bemerken Sie einen Einfluss von dem, was Sie in den Sprints machen, auf das klassisch hierarchische Modell? Werden die Hierarchien inzwischen hinterfragt?
Christian Langrock: Soweit sind wir noch nicht, dass da Hierarchien hinterfragt werden. Ich glaube, es gibt andere Punkte, an denen sich feststellen lässt, dass ein agiles Mindset Einzug hält. Dass etwa bereichsübergreifendes Arbeiten üblicher wird, dass tatsächlich nochmal geprüft wird, wie können wir möglichst schnell prototypische Lösungen finden? Oder eben auch mal Themen abzumoderieren.
Neue Räume für die agile Arbeit
Das Team, welches den neuen Busfahrerterminal entwickelt hat
Wenn wir jetzt neu starten würden, würde ich viel mehr Fokus darauf legen, die Führungskräfte noch mehr abzuholen
Sebastian Purps-Pardigol: Haben Sie das Thema Kultur als expliziten Begriff auf der Agenda? Oder ist das etwas, das nebenbei mitschwingt, weil Sie sich sowieso mit agilem Mindset beschäftigen?
Christian Langrock: Eher letzteres. Wir wollen nicht den Kulturwandel theoretisch behandeln und auf Folien bringen. Aber dadurch, dass wir Dinge verändern und anders angehen, verändert sich auch die Unternehmenskultur. Wenn wir noch radikaler vom Kunden aus denken, wenn wir eine bessere Feedback-Kultur einführen und wenn wir eine Fehlerkultur praktizieren, die uns Fehler schneller machen lässt als Andere – all das verändert natürlich die Unternehmenskultur, aber eher aus der Praxis heraus.
Sebastian Purps-Pardigol: Sie gehen also direkt in die Umsetzung, ohne vorher eine Metaebene eingenommen zu haben?
Christian Langrock: Genau. Und darüber wird dann letztendlich dieses Mindset ins Unternehmen reinschwingen.
Sebastian Purps-Pardigol: An welcher Stelle und und warum haben Sie sich mit dem Thema Feedback-Kultur auseinandergesetzt?
Christian Langrock: Feedback ist eines der wesentlichen Prozessbestandteile der agilen Arbeitsmethodik – inhaltlich, aber auch zum Prozess, damit man immer besser wird und als Team zusammenwächst.
Sebastian Purps-Pardigol: Das muss besonders sein: Ein Mitarbeiter kommt nach sechs Wochen mit Feedback in sein normales Team zurück. Ist er dann nicht sowas wie ein freies Radikale? Kommt es vor, dass es den Teamkollegen des ehemaligen Design Thinking-Kollegen zuviel wird, dass sie sich fragen: „Warum will der soviel reden?“
Christian Langrock: Es ist ja nicht so, dass Feedback bei der Hamburger Hochbahn AG komplett neu ist. Tatsächlich gibt es solche, die sich als freie Radikale sehen und mit voller Überzeugung versuchen, in ihrem Bereich Dinge zu verändern. Und es gibt genügend Beispiele, wo Alumnis tatsächlich Veränderungen initiiert haben. Aber auch bei unseren Alumnis gibt es die ganze Bandbreite. Einerseits ist es schön, dass jeder an dem Prozess teilnehmen darf. Aber die Bus- und U-Bahn-Fahrer müssen natürlich wieder zurück auf ihren Bock, und da ist eben nichts mit Agilität. Trotzdem haben die Kollegen nochmal eine ganz andere Sicht der Dinge, und es ist auch eine Frage der Wertschätzung.
Sebastian Purps-Pardigol: Wenn Sie nochmal anfangen könnten, welche Dinge würden Sie retrospektiv anders machen?
Christian Langrock: Auf jeden Fall das Thema der Kommunikation. Wenn wir jetzt neu starten würden, würde ich viel mehr Fokus darauf legen, die Führungskräfte noch mehr abzuholen, um diese zu sensibilisieren und ihnen zu zeigen: Was da kommt, das ist nicht per se gut oder schlecht, niemand braucht Angst davor zu haben. Das bedeutet, transparent zu kommunizieren und in komplett neuen Formaten – sowas wie ein Video-Blog, um kurz einen Einblick zu geben, was wir gerade machen und wo wir gerade stehen.
Sebastian Purps-Pardigol: Warum ist die Kommunikation mit den Führungskräften so wichtig? Kommt aus dieser Richtung viel Widerstand?
Christian Langrock: Es gibt natürlich teilweise Widerstände. Die Führungskräfte, deren Mitarbeiter in den agilen Teams mitarbeiten, versuchen wir natürlich abzuholen. Wir erklären ihnen, was passiert, es gibt auch Feedback-Gespräche zwischen den Kollegen und den Führungskräften. Aber oft kommt ja der Mitarbeiter verändert wieder zurück, und er versucht Dinge anzustoßen, die die Führungskraft gar nicht genau einordnen kann. Auf einmal hat der Mitarbeiter einen Wissensvorsprung vor seinem Team und seiner Führungskraft, und für die Führungskraft ist es schwer damit umzugehen. Ich glaube, da könnten wir noch viel mehr Aufklärungsarbeit leisten: „Change-Management und Leadership sind keine Bedrohung, wenn ihr wisst, wie ihr es für euch einordnen könnt.“