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Gundlach | Lorenz Hansen

Lorenz Hansen ist geschäftsführender Gesellschafter der Hannoveraner Gundlach Bau & Immobilien. Den ersten Kulturwandel erlebte das 125 Jahre alte Unternehmen durch die Generation vor ihm. Die politisch links geprägten Eltern hatten sich bereits in den 70er Jahren intensiv mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigt und damit auch das Handeln der Firma neu ausgerichtet. In dieser Zeit boten Sie den Mitarbeitenden auch an, ihnen das Unternehmen zu schenken – diese lehnten jedoch ab.

 
Als Lorenz Hansen das Ruder übernahm, veränderte sich der Fokus der Kultur noch mehr nach innen. Der neue Chef erkannte, daß seine Mitarbeitenden oftmals mehr wussten, als er selbst – so entstand ein Geist des Vertrauens und Loslassens. Er verordnete sich und der gesamten Führungsmannschaft einen intensiven Reflexions- und Persönlichkeitsentwicklungsprozess, um ein neues Verständnis der Rolle als Chef zu entwickeln: Die Führungskraft als Coach der Mitarbeitenden. Eine der besonderen Herausforderungen für Hansen: Wie gelingt es, die Mitarbeitenden auf den Baustellen für den Kulturwandel zu begeistern?
 
Gundlach ist Bauträger, Bauunternehmen, Wohnungsunternehmen und Immobilienverwalter und beschäftigt 200 Mitarbeitende. Im Jahr 2017 erhielt das Unternehmen den CSR-Preis der Bundesregierung für vorbildhafte und verantwortungsvolle Unternehmertätigkeit.
Ein Jahr nach diesem Gespräch entstand ein Weiteres, das Sie hier als Film sehen können.

Lorenz Hansen ist geschäftsführender Gesellschafter der Hannoveraner Gundlach Bau & Immobilien. Den ersten Kulturwandel erlebte das 125 Jahre alte Unternehmen durch die Generation vor ihm. Die politisch links geprägten Eltern hatten sich bereits in den 70er Jahren intensiv mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigt und damit auch das Handeln der Firma neu ausgerichtet. In dieser Zeit boten Sie den Mitarbeitenden auch an, ihnen das Unternehmen zu schenken – diese lehnten jedoch ab.

 

Als Lorenz Hansen das Ruder übernahm, veränderte sich der Fokus der Kultur noch mehr nach innen. Der neue Chef erkannte, daß seine Mitarbeitenden oftmals mehr wussten, als er selbst – so entstand ein Geist des Vertrauens und Loslassens. Er verordnete sich und der gesamten Führungsmannschaft einen intensiven Reflexions- und Persönlichkeitsentwicklungsprozess, um ein neues Verständnis der Rolle als Chef zu entwickeln: Die Führungskraft als Coach der Mitarbeitenden. Eine der besonderen Herausforderungen für Hansen: Wie gelingt es, die Mitarbeitenden auf den Baustellen für den Kulturwandel zu begeistern?
 
Gundlach ist Bauträger, Bauunternehmen, Wohnungsunternehmen und Immobilienverwalter und beschäftigt 200 Mitarbeitende. Im Jahr 2017 erhielt das Unternehmen den CSR-Preis der Bundesregierung für vorbildhafte und verantwortungsvolle Unternehmertätigkeit.
Ein Jahr nach diesem Gespräch entstand ein Weiteres, das Sie hier als Film sehen können.

 

Gundlach ist als Maurerunternehmen gestartet

Sebastian Purps-Pardigol: Was hat bei Gundlach den Anstoß zum Kulturwandel gegeben? War es eher „hin zu etwas Neuem“ oder „weg von etwas Altem“? War es pain oder pleasure?

Lorenz Hansen: Der Kulturwandel hatte definitiv einen radikalen Moment in unserer Unternehmensgeschichte zum Anstoß, und er hat beides beinhaltet. Dazu muss man ein bisschen in unsere Familiengeschichte einsteigen. Gundlach ist mittlerweile 128 Jahre alt. Ich vertrete die fünfte Generation. Früher waren wir ein klassisches Maurerunternehmen, mein Ururgroßvater war ein richtiger Baumeister. Der konnte im Haus noch alles. Mein Urgroßvater war auch noch so. In der Zeit des zweiten Weltkriegs kam die erste große Wende, als mein Großvater ins Unternehmen kam. Er war hier Bauleiter und hat die Unternehmertochter geheiratet. Er war deutlich kaufmännischer geprägt. Das war in den 50-er und 60-er Jahren, und wir waren immer noch ein typisches konservatives Familienbauunternehmen. Ziemlich groß, mit bis zu über tausend gewerblichen Mitarbeitern. Und in dieser ganzen „Spießigkeit“ ihrer Zeit – das meine ich in keiner Weise wertend, denn so waren ja alle, dabei aber im technischen Sinne relativ innovativ –hat mein Großvater zwei Töchter gehabt, von denen eine meine Mutter war. Diese Töchter haben sich ganz unterschiedlich entwickelt. Meine Mutter war eher musisch-künstlerisch interessiert. Doch am Ende hat sie sich entschieden, dem Vater „ein guter Sohn“ zu sein, den er nämlich gerne gehabt hätte. Sie hat in Göttingen Betriebswirtschaft studiert und ist sehr darin aufgegangen. Da hat sie meinen Vater kennengelernt. Die beiden waren richtige Kinder der 68-er Generation – auch im Ablehnen von allem, was früher war und nicht die richtigen Werte hatte. Sie saßen in ihrer Studentenbude in Göttingen und haben „die Welt verbessert“.

Und dann kam der große pain-Moment: Anfang der 70-er Jahre ist erst der Urgroßvater gestorben als altehrwürdiges Familienoberhaupt, dann mein Großvater als Gundlach-Chef, und schließlich die letzte Gesellschafterin, meine Großmutter. So dass ihre Töchter, die beiden jungen Frauen, plötzlich vor der Frage standen: Was machen wir mit diesem Unternehmen? Wollen wir Gesellschafterinnen dieses Familienbetriebs sein, wollen wir mauern, bauen, Wohnungen vermieten? Da haben meine Eltern entschieden: „Lass es uns machen, aber lass es uns anders machen!“ Das war die Geburtsstunde der Unternehmenskultur, die wir heute noch atmen. Dadurch, dass die Alten nicht mehr da waren, hatten sie die Freiheit, das umzusetzen. Das war politisch nicht immer einfach, gerade wenn man an die konservativen Auftraggeber denkt. Aber sie haben angefangen, das Unternehmen radikal umzustricken. Meine Mutter ist zunächst Professorin für Betriebswirtschaft in Hannover geworden, wo sie unter anderem das Thema Nachhaltigkeit gelehrt hat. So haben meine Eltern die Projekte entwickelt, von denen wir heute noch zehren: die Obdachlosen-Projekte, die Mitarbeiterorientierung und alles, was mit Werten zu tun hat. Das alles hatte viel mit Lust zu tun, aber der Start muss sehr hart gewesen sein. 

Sebastian Purps-Pardigol: Hat eine oder haben beide Schwestern damals das Unternehmen übernommen?

Lorenz Hansen: Die beiden Schwestern waren die Gesellschafterinnen. Und sie haben entschieden, meinen Vater nicht nur als Geschäftsführer das Ruder in die Hand zu geben, sondern ihn auch zum Gesellschafter zu machen.

Gundlach ist als Maurerunternehmen gestartet

Mitarbeiter werden stark einbezogen

Sebastian Purps-Pardigol: Was bedeutet genau: „Sie haben alles umgekrempelt?“ War das ein Umkrempeln nach außen oder nach innen? 

Lorenz Hansen: Die Unternehmenskultur ist eine gänzlich andere geworden. Das ging auch nach innen. Denn die neue Führung hatte ja die altehrwürdigen Prokuristen an ihrer Seite. Die waren früher im Unternehmen die Götter. Und sie waren entsprechend alt und konservativ. Das muss unheimlich anstrengend gewesen sein und hat auch echt lange gedauert. Für die Mitarbeiter war die Veränderung  nicht zu vergleichen mit dem, was wir heute machen: Verantwortung übertragen und an Entscheidungen beteiligen. Aber auch nach innen wurden alle Mitarbeiter mitgenommen. Damals hatten wir viele Gastarbeiter aus der Türkei, später Jugoslawien, also eine quirlige, bunte Kultur, die vielfach belächelt wurde. Für die hat mein Vater ein Gastarbeiterfest eingeführt, eine rauschende Feier mit Paella und Tanzen. 

Sebastian Purps-Pardigol: Wenn Ihre Eltern begonnen haben, die Unternehmenskultur zu verändern … wie waren sie denn daheim? 

Lorenz Hansen: Auch ich bin geprägt von diesem Geist. Meine Eltern waren links, ich war natürlich im Waldorfkindergarten, dann in der Waldorfschule. Und meine Eltern gehörten zu einer großen Elterngruppe, die eine neue Waldorfschule in Hannover-Bothfeld gegründet haben. Wir haben alle daran mitgebaut, da war ich in der dritten Klasse. Natürlich war es auch anspruchsvoll, zwei berufstätige Eltern zu haben, die gebrannt haben für ihre Berufe, und dazu noch ein Familienunternehmen leiten. Ich bin mit einem Kindermädchen groß geworden, aber ich war irgendwie immer mit dabei. Mit meinem Vater war ich demonstrieren und auf den Baustellen unterwegs. Mit meiner Mutter war ich im Hörsaal. Betriebswirtschaft und Nachhaltigkeit habe ich sozusagen mit der Muttermilch aufgesogen. Das Unternehmen hat mich immer schon geprägt, ebenso seine Werte. 

Sebastian Purps-Pardigol: Hatten Ihre Eltern damals ein klares Zielbild für das Unternehmen, wie alles einmal werden sollte? Und haben Sie heutzutage ein klares Ziel, wo Sie hinwollen?

Lorenz Hansen: Hatten wir immer, das halte ich auch für sehr, sehr wichtig. Allein schon um allen anderen Orientierung zu geben. Meine Eltern haben von Anfang an ein klares Bild davon gehabt, was sie machen wollten und für wen. Dabei ging es zunächst um das Produkt: Es sollte ein gutes, ökologisch gesundes Produkt sein. Auch die Mitarbeiter spielten immer eine Rolle, die Handwerker. Meine Mutter hat viel über Nachhaltigkeit geforscht. Sie hat das IMUG -Institut für eMarketing, Umwelt und Gesellschaft mit meinem Vater und Ingo Schönheit  gegründet, das ja auch zum Thema Nachhaltigkeit berät. Meine Eltern haben als einer der ersten deutschen mittelständischen Unternehmen im Jahr 2000 einen Nachhaltigkeitsbericht veröffentlicht. Und was meine Generation angeht: Ich bin jetzt seit zwölf Jahren dabei, in Geschäftsführerposition mit meinem Kollegen Frank Eretge. Auch der war übrigens ein Student meiner Mutter, er liebt und lebt das Nachhaltigkeitsthema.

Ich glaube aber, es gehört genauso zu den Zeichen der Zeit, dass  Mitarbeiter deutlich in den Fokus gerückt werden. Mein Zielbild vom glücklichen Menschen hat viel mit Selbstentfaltung zu tun. Wir versuchen, das so zu leben. Wir hatten zum Beispiel einen treuen Mitarbeiter, der war hier früher Führungskraft und ist jetzt Geschäftsführer in einem Partnerbetrieb. Aus Leidenschaft. Es war sein Wunsch und wir haben ihn gemeinsam ermöglicht. Und erfolgreich. Wir versuchen, den Mitarbeitern möglichst viel Entfaltung zu bieten, und das hat viel mit Verantwortungsübergabe zu tun, die wir auch erwarten. Das hat unsere Mitarbeiterschaft sehr verändert. Ich muss ehrlicherweise dazu sagen, dass wir auf dem Weg auch Menschen als Mitarbeiter verloren haben. Denn wie wir heute ticken, ist Vertrauen in beide Richtungen wichtig. Und Mitarbeiter, die lieber in festen Strukturen und Abläufen arbeiten – was ich an sich sehr respektiere –, die werden bei uns nicht mehr glücklich. Und sie gehen dann auch mal. Das kommt vor. 

Mitarbeiter werden stark einbezogen

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Mitarbeiter, die lieber in festen Strukturen und Abläufen arbeiten, werden bei uns nicht mehr glücklich. Und sie gehen dann auch mal.

Sebastian Purps-Pardigol: Sie kommen nun sehr vom Thema der Nachhaltigkeit und haben erst im Laufe der Zeit begonnen, die Unternehmenskultur immer präsenter werden zu lassen – wie gehören für Sie diese beiden Dinge zusammen? 

Lorenz Hansen: Ein wesentlicher Faktor ist, dass die nachhaltige Ausrichtung nur funktioniert, wenn sie von allen getragen wird. Ich glaube, dass Nachhaltigkeit in einem Familienunternehmen vielfach glaubwürdiger ist als in einem großen Konzern. Und ich glaube, dass diese ehrliche Nachhaltigkeit auf die Mitarbeiter abfärbt. Wir gewinnen, begeistern und halten dadurch Mitarbeiter. Ich habe noch kein Bewerbungsgespräch erlebt, wo diese Dinge nicht Thema gewesen wären. Die jungen Leute sagen: „Ich war auf eurer (wir duzen schon im Bewerbungsgespräch) Homepage, und ich finde das und das Projekt toll.“ Das kultivieren wir aktiv. Weil unsere Mitarbeiter diejenigen sind, die unser Image auf die Straße tragen und dadurch kundenorientierter sind. Es gibt immer wieder Mitarbeiter, die sagen: „Die da oben, die Unternehmerfamilie, die machen ihre Projekte. Aber was hat das mit meinem Alltag zu tun? Ich würde lieber ganz andere Sachen machen“. Und da sagen wir: „Ja gut, dann macht uns Vorschläge!“. Dabei kam zum Beispiel  ein Flüchtlingsprojekt heraus. Wir haben in Kirchrode ein ehemaliges Altenpflegeheim gekauft, das abgerissen werden sollte. Dann kam einer unserer Mitarbeiter und sagte: „Wir haben doch die Flüchtlingskrise – können wir da nicht helfen?“ Also haben wir das Gebäude für mehrere Jahre an die Stadt vermietet.

Unsere Mitarbeiter treffen jeden Tag eigenverantwortlich sehr wichtige Entscheidungen. Unser Vermietservice-Team, entscheidet heute selbstständig: „Wie gehen wir damit um, dass wir im Moment wieder einen großen Drang auf Wohnungen haben? Wie gehen wir mit sozialen Härtefälle um, mit alleinerziehenden Müttern, die einen Schufa-Eintrag haben?“ Das Team hat den Freiraum, Entscheidungen zu treffen, und vielleicht mal darüber im Einzelfall hinwegzusehen, dass da im Lebenslauf was schief und kruckelig ist. 

Sebastian Purps-Pardigol: Das klingt nach einem klassischen Unternehmen, das aber den Spirit einer NGO in sich trägt, weil die Menschen ein hohes Maß an Sinnhaftigkeit in dem spüren, was sie tun.

Lorenz Hansen: Genau das zeigt auch jede Mitarbeiterbefragung sehr deutlich. Seit zwölf Jahren machen wir die regelmäßig, mittlerweile auch, indem wir uns vergleichen über Great Place to Work. Die Mitarbeiter suchen nach Sinnstiftung: Welches sind die Werte? Woran kann ich mich orientieren? Wir haben sehr früh einen Think Tank eingeführt, mit einem Team von Mitarbeitern, die an Ökologie interessiert sind – nicht, weil sie dafür ausgebildet sind, sondern weil sie Lust darauf haben. Diese dürfen Entscheidungen treffen, bei denen wir Führungskräfte uns eher im Hintergrund halten. Ganz unterschiedliche Leute aus dem Unternehmen kamen da zusammen. Die hatten ein Budget, sie haben Moderatoren beauftragt, sie haben geforscht, und es kamen ganz bunte Dinge dabei heraus. Häuser aus einem Stein bauen, der innen gedämmt ist. (Monolithisch bauen nennt man das) oder Mietergärten auf Plätzen, auf denen sie Gemüse anpflanzen. Und das macht allen unheimlich viel Spaß.

Sebastian Purps-Pardigol: Wie fing der Wandel bei Ihnen persönlich als Geschäftsführer an?

Lorenz Hansen: Ich glaube, als Führungskraft braucht man ein sehr hohes Maß an Selbstreflexion. Und für mich war es hilfreich, dass ich noch nie der klassische Chef war. Ich bin nicht der Elite-Student. Ich war fünf Jahre auf einem Internat und habe dann Architektur studiert. Als ich im Unternehmen angefangen habe, habe ich zunächst in Berlin das Zusatzstudium Immobilienökonomie absolviert. Jeweils ein paar Wochen lang ging es beispielsweise um Immobilienmaklerei, Recht, Steuern, und ich habe alles aufgesogen. Aber dann kam ich ins Unternehmen zurück – und ich wusste die Dinge nicht besser als unsere Fachleute. Ich habe schnell gemerkt: Ich werde meine Fehler machen und brauche Reflexion auf Augenhöhe. Ich habe Frank Eretge im Unternehmen gefunden als Kaufmann, der war damals Leiter des Rechnungswesens und des Wohnungsunternehmens. Ich habe ihn gebeten, die Leitung mit mir gemeinsam zu übernehmen.

Ich habe immer zugehört was die Mitarbeiter zu sagen haben. Insofern habe ich niemals das Gefühl gehabt, dass ich die Dinge besser weiß als unsere Profis im Unternehmen. Das war die Geburtsstunde von Gedanken wie: „Vertraue den Mitarbeitern! Frage sie, gib ihnen Verantwortung!“ Das wollten wir in unsere Führung stark einfließen lassen, und haben gemerkt, dass wir auch mit unserer Führung was machen müssen. Also haben wir mit den Prokuristen den Change-Prozess begonnen. Den haben wir über verschiedene Stationen professionell begleiten lassen. Wir wurden radikal durchanalysiert. Wir haben uns mit den oberen Führungskräften – damals waren das zehn bis zwölf Leute – für ein komplettes Wochenende zurückgezogen und haben unsere gesamte Strategie auf links gekrempelt. Aber gemeinsam! Das war die Begründung unserer Kultur. Wir sind alle durchs Assessment gegangen. Wir sind einen Tag lang mit Psychologen unsere Stärken und Schwächen durchgegangen, um dann alles aufs Coaching zu übertragen. Jeder für sich. Das ist bei uns heute Standard für alle Führungskräfte. Wer bei uns auf Teamleiterebene Führungskraft wird, der geht ins Assessment, und dann wird daraus ein Coaching gestrickt. Aus dieser Haltung heraus ist unsere Unternehmenskultur geboren. Jetzt stehen wir an einem Punkt, wo wir uns als Führungskräfte mehr als Begleiter und Coach sehen – für Mitarbeiter, die die Kompetenz haben, Dinge zu beurteilen und zu entscheiden. Bis zu dem Punkt, dass wir erste gänzlich eigenverantwortliche Teams einführen.

Intensive Führungskräfte-Reflexion

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Jetzt stehen wir an einem Punkt, wo wir uns als Führungskräfte mehr als Begleiter und Coach sehen.

Sebastian Purps-Pardigoll: Gab es von Anfang an ein klares Bild, wie Sie sich Führung vorgestellt haben? Oder war es eher ein iterativer Prozess? 

Lorenz Hansen: Es war ein iterativer Prozess, bei dem sich die grundsätzliche Idee, immer weiterentwickelt hat. Vor fünf Jahren kam bei der Mitarbeiterbefragung heraus: „Wir wollen besser Bescheid wissen, wo es hingeht.“ Also haben wir die Mitarbeiter stärker in die Strategiefindung reingenommen. Auf der anderen Seite haben wir aber auch klare Vorgaben gemacht: Wachstum, Rendite, Umsatz auf fünf Jahre. Wir als Geschäftsführer haben uns über das große Ganze Gedanken gemacht. Nach uns kamen die Prokuristen und Teamleiter und haben überlegt: Wie erreichen wir das? Wir haben vier Unternehmensbereiche  – Bauen, eigener Wohnungsbestand sowie Projektentwicklung und -verkauf  und Immobilienverwaltung– in denen wir unterschiedlich weit sind. Aber einbezogen wurden unsere Mitarbeiter in allen vieren. Im Schwerpunkt Projektmanagement sind wir dabei agiler zu werden. Das stellt natürlich unsere starren Strategien sehr in Frage. Aber ich bin sicher: In ein oder zwei Jahren werden wir die ohnehin nicht mehr in dieser Form haben. Deswegen haben wir heute ein ganz anderes Bild von Führung. Und das Bild, das wir in drei Jahren haben werden, wird wieder eine anderes sein.

Das ist sehr spannend, es ist aber auch anstrengend, das können wir in unseren Zufriedenheitsbefragungen ablesen. Unsere jungen Mitarbeiter haben ein sehr hohes Maß an Zufriedenheit. Die Masterfrage lautet: „Halten Sie Gundlach alles in allem für einen guten bis sehr guten Arbeitgeber?“ In unserer letzten Befragung hatten wir bei den Auszubildenden 100 Prozent Zustimmung. Die Gruppe derer, die schon seit 20 bis 30 Jahre bei uns sind, kennen noch das alte Gundlach, und die sind jetzt mit dem neuen Stil ganz zufrieden. Den niedrigsten Zufriedenheitswert hatten wir in der Gruppe derer, die zwischen fünf und zehn Jahre bei uns sind. Selbst bei denen haben wir noch zwischen 70 und 80 Prozent Zustimmung, aber für Gundlach-Verhältnisse ist das niedrig. Die haben nämlich den Umstellungsprozess miterleben müssen. Seitdem weiß ich, dass ein Kulturwandel die Leute an ihre Grenzen bringt. Deswegen machen wir ja auch so viel für Gesundheit. Wir haben beispielsweise ein Burnout-Präventionsprogramm, da können unsere Mitarbeiter jederzeit eine Hotline anrufen und sich Rat holen, auch privat. Und wir haben ein Achtsamkeitstraining, das reicht von Meditation bis zum Umgang mit Stressfaktoren und Yoga. 

Neue Büros mit Blick an die Wand

Sebastian Purps-Pardigol: Welche Widerstände haben Sie erlebt, seitdem Gundlach sich mit der internen Veränderung beschäftigt? Wie haben Sie die überwunden?

Lorenz Hansen: Bestenfalls natürlich durch Überzeugung, im Dialog. Aber das geht nicht immer. Wir haben zu allen Zeiten zu allem möglichen Dingen Widerstände erlebt. Zum Beispiel hatten wir früher klassische Büros, in denen die Leute sich gegenüber sitzen und sich bspw. beim Telefonieren sehr stören, hinter ihnen an den Wänden stehen meterweise Akten. Jetzt brauchen wir aber keine Aktenregale mehr, weil alles papierlos ist, also sind die Wände hinten frei. Unsere Berater haben gesagt: „Probiert mal das wandorientierte Arbeiten!“. Da sitzt du mit deinem Schreibtisch wandorientiert mit dem Rücken zueinander, die Wände sind durch Schallschutzelemente schalloptimiert. Man ist konzentrierter, weil man nur auf eine ruhige Wand und auf einen Monitor guckt. Aber man muss damit leben, dass im Rücken Dinge passieren, dass einem womöglich sogar Leute über die Schulter schauen. Das ist nicht jedermanns Sache. Aber wir haben verlangt, dass jeder das ein paar Tage lang ausprobiert, damit wir es hinterher bewerten können. 

Auch meine Eltern sind natürlich durch andere Dinge geprägt, und die neue Gundlach-Welt ist manchmal an den Grenzen dessen, was sie gut nachvollziehen können. Zum Glück lassen sie uns diese Dinge machen. Manchmal muss man auch da was durchsetzen, das kommt vor. Aber in der Regel gelingt es ganz gut. Und am Ende überzeugt auch das Ergebnis. Dann sehen sie die Stimmung, die sehr gut ist, und sie sehen die Ergebnisse in der Bilanz. Die sind nicht immer gut, natürlich geht auch mal ein Projekt schief. Aber zu einer Vertrauenskultur gehört auch eine Fehlerkultur. Es ist wichtig, sich darauf einzustellen, dass Mitarbeiter Fehler machen. Wenn sie Mietverträge alleine unterschreiben, dann ist da auch mal ein Fehler drin, und dann lösen wir das. wenn mal was schiefgeht, dann erwarten wir einen „Striptease“ damit wir lernen können. Jeder Projektleiter macht eine Rückschau auf sein Projekt: Was ist gut gelungen und was ist schiefgegangen? Weil andere Projektleiter daraus lernen können.

Neue Büros mit Blick an die Wand

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100 Prozent unserer Auszubildenden halten uns für einen guten Arbeitgeber. Den niedrigsten Wert haben wie bei den Mitarbeitern, die 5 bis 10 Jahre bei uns sind.

Sebastian Purps-Pardigol: Es gehört also zum Standard, dass jeder Projektleiter am Ende die Hosen runterlässt und berichtet: „Das war super, das nicht“? 

Lorenz Hansen: Genau. In unseren Bauträgerprojekten ist das mittlerweile Standard, an anderen Stellen arbeiten wir an der Etablierung. Wir haben eine sehr schöne Veranstaltung: Alle drei Wochen laden wir alle Mitarbeiter ins Bürohaus zu einem gemeinsamen Frühstück ein. Jeder bringt sich seinen Kaffee mit und dann gibt es zwei Vorträge aus dem Unternehmen. Einer behandelt immer ein ernsthaftes Thema. Wie funktioniert das neue Datenschutzgesetz? Oder: Wie läuft das Ökoprojekt mit unserem neuen Recyclinghaus? Dabei wird dann ehrlich gesprochen: „Das war blöd, das Haus war teurer als erwartet. Es ist kompliziert, aus Recyclingmaterialien zu bauen.“ Alle sollen etwas mitnehmen. Und dann gibt es ein Thema, das lustiger sein darf. Die IT stellt die interessantesten Urlaubsapps vor oder ein Kollege macht mit „Alexa“ das Licht an und aus. Nach einer Stunde geht jeder an seine Arbeit.

Alle 3 Wochen sitzen alle Mitarbeiter zusammen

Sebastian Purps-Pardigol Eine Firma zu führen, das hat auch mit Selbstreflexion zu tun, haben Sie gesagt. Wie ist es Ihnen gelungen, dass sich auch die anderen Führungskräfte in den Selbstreflexionsprozess begeben haben? Denn in dem Moment, wo diese sagen: „Wir schenken unseren Mitarbeitern mehr Vertrauen“ sind sie ja mit der Frage konfrontiert: „Wozu bin ich eigentlich noch gut, wenn ich keine Entscheidungen mehr treffen muss, weil ich die Entscheidungen ja abgegeben habe?“ 

Lorenz Hansen: In einem sehr, sehr harten, aufreibenden, intensiven Abstimmungsprozess. Wir ziehen uns zurück, wenn wir als Führungsteam miteinander arbeiten. Das machen wir immer moderiert. Am Anfang haben wir Dinge gelernt wie: Wie geben wir uns angemessen Feedback? Wir sind immer sehr offen und wenn nötig hart miteinander gewesen, da sind auch mal Tränen geflossen. Heute läuft das etwas beobachtender ab, weil wir viel gelernt haben miteinander. Wir ziehen uns zwei Tage zurück – mir persönlich gefällt es am besten in der Lüneburger Heide, im Camp Rheinseelen. Da verbringen wir zwei Tage und auch einen meistens lustigen Abend miteinander. Dabei wird richtig hart gearbeitet und reflektiert. Das machen wir zweimal im Jahr mit allen Führungskräften. Am Anfang waren nur die Geschäftsführer und Prokuristen dabei. Aber durch unser Personalwachstum kam irgendwann die Teamleiterebene dazu. Das bringt unheimlich Wind in die Sache. Denn dabei haben wir festgestellt: Wir sind die alten Säcke! Weil wir plötzlich über 40 Jahre alt sind! Und die Teamleiter sind eher um die 30 oder sogar Mitte 20, und sie bringen neue Impulse rein. Die Hierarchien lösen sich immer stärker auf. Jeder macht ein Assessment durch, und jeder arbeitet persönlich an seinen Schwächen. Nicht alle Führungskräfte waren davon begeistert. Wir haben sie teilweise gezwungen. Und auch die Ergebnisse der Psychologen waren sehr persönlich. Denn da steht drin: „Du hast eine Schwäche an der und der Stelle.“ Mit unserer Geschäftsführung und den Führenden diskutieren wir später: „Was mache ich damit?“ Im Nachgang muss ich aber sagen: Die Führungskräfte, die heute noch da sind – und das sind nicht alle – sind davon mittlerweile sehr überzeugt und begeistert. Wir haben uns deutlich weiterentwickelt. Und diese Führungskräfte prägen und tragen diese Kultur mit.

Sebastian Purps-Pardigol: Sie haben also durch die Einzel- und Teamprozesse forciert, dass alle einen ganz persönlichen Entwicklungsprozess durchleben? 

Lorenz Hansen: Ja, denn es ist beeindruckend, was aus den Menschen wird. Ein Aspekt, den ich toll finde: das Vertrauen und der Glaube an den anderen. Der zweite Aspekt, den ich immer wieder als wichtig erlebe: Mitgestalten dürfen. 

Alle 3 Wochen sitzen alle Mitarbeiter zusammen

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Wir haben festgestellt: Wir sind die alten Säcke!

Sebastian Purps-Pardigol: Was genau haben Sie die Mitarbeitenden mitgestalten lassen? Welche Möglichkeiten der Mitgestaltung bietet Gundlach noch, neben den sich selbst organisierenden Teams? 

Lorenz Hansen: Es gibt ganz verschiedene Ebenen. Das eine sind die Teams, die an Themen arbeiten. Wir sind sehr darum bemüht, dass die Kollegen sich einbringen und versuchen, ihnen Tools an die Hand zu geben, um ihnen die Entfaltung zu erleichtern. Zum Beispiel bei dem Umbau unseres eigenen Bürohauses haben sie ihre Gedanken geäußert. Wir haben beim nächsten Bauabschnitt abgefragt: Was für eine Themenwelt wollen wir haben? Die Mitarbeitenden des Bauunternehmens haben gesagt: „Wir wollen gerne eine Baustelle als Themenwelt haben.“ Also haben wir unsere Architekten beauftragt: „Wie könnte so eine Baustelle aussehen?“ Jetzt  könnte ein Kran im Büro hängen, eine Mischmaschine, es wird Bauzäune im Büro geben. Das haben wir wieder an die Mitarbeiter zurückgespielt und gefragt: „Das ist unsere Idee. Was findet ihr gut, was schlecht?“ Das kostet ein bisschen Zeit, führt aber dazu, dass das Projekt besser wird, da immer neue Anregungen kommen. Und das wiederum führt dazu, dass der Umbau deutlich besser akzeptiert wird.

Sebastian Purps-Pardigoll: Wie hat sich das Maß an Verbundenheit der Mitarbeitenden verändert – sowohl untereinander als auch zum Unternehmen? 

Lorenz Hansen: Ich glaube, dass sich die Verbundenheit stark verändert hat. Da kommen verschiedene Aspekte zusammen. Früher haben wir eine andere Art von Loyalität gehabt, da gab es den Glauben: „Einmal Gundlach, immer Gundlach“. Eine Grundlach-Karriere verlief wie bei Siemens oder Krupp. Wir hatten Generationen von Mitarbeitern, wo schon der Vater bei Gundlach geschafft hat. Das ist ehrlich gesagt Geschichte. Diese Art von Verbundenheit ist eine ganz große Seltenheit geworden. Manche bleiben bis zur Rente, aber es ist weniger geworden. Aber wir erleben auch – und das ist manchmal schmerzlich – dass Mitarbeiter zu uns kommen, total glücklich sind, nach fünf Jahren aber trotzdem weiterziehen. Und dann frage ich mich selbst: Warum?

Sebastian Purps-Pardigoll: Und? Wie lautet die Antwort?

Lorenz Hansen: Wir sind ein mittelständisches Unternehmen und nicht alle Mitarbeiter die das wollen, können z.b. Führungsverantwortung übernehmen. Wir bezahlen gut, tarifgerecht, aber eben durchschnittlich bis leicht überdurchschnittlich. Und dann gibt es große Konzerne, die überregional Mitarbeiter suchen. Das kann attraktiv sein für junge Menschen, das verstehe ich total. Die wollen die Welt sehen. Und natürlich gerne 10 000 oder 15 000 Euro mehr zahlen als wir es können. Deswegen haben wir den Slogan „Du willst? Du darfst!“ entwickelt. Denn wir sind schnell und nicht so starr wie Konzerne. Bei uns kann man mehr bewegen. Wir suchen Mitarbeiter, die sich einbringen und entfalten wollen, die kriegen signalisiert: „Genau das kannst du hier!“ Gerne mit Familie und ein bisschen sesshaft. Gerne Leute, die sagen: „Ich möchte abends nach Hause kommen und nicht über fünf Tage eine Baustelle in Berlin betreuen.“ Was ich besonders großartig finde: Manche gehen für ein paar Jahre nach München und kehren dann wegen der Familie zurück nach Hannover. Die stehen sofort bei uns auf der Matte. Wir punkten mit anderen Stärken

Auf Wunsch der Mitarbeiter: Das Waldzimmer

 

Von 1000 über 27 wieder auf 60 Gewerbliche

 

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Wir arbeiten gerade hart dran, diese beiden Welten Büro und Gewerbliche kulturell stärker zusammenzuführen. Draußen auf dem Bau herrschen andere Rahmenbedingungen.

Sebastian Purps-Pardigol: Früher hatten Sie 1000 Gewerbliche. Hat sich das verändert? 

Lorenz Hansen: Ja, deutlich, und das ist sehr schmerzhaft. 1000 Gewerbliche hatten wir in unserer Blütezeit in den 50-er, 60-er und 70-er Jahren. Da haben wir gebaut wie die Weltmeister. Hannover war ja im Krieg zu 85 Prozent zerstört worden. Wir mussten viele Mitarbeiter aus dem Ausland holen – und das war eine tolle Geschichte. Aber dann kam das Sterben und Schrumpfen. Wie viele mittelständische Bauunternehmen sind verschwunden! Und die noch da sind, haben sehr viel weniger eigenes gewerbliches Personal. Unsere Gewerbliche sind Maurer, Schlosser alles Mögliche: Spezialisten, die ihr Handwerk beherrschen, die könne wirklich eine Menge. Aber sie werden nach Tarif bezahlt mit allem was dazu gehört und kosten darum mehr als die Subunternehmen, die über die Grenze kommen und auch ganz gute Arbeit machen. Deswegen hatten wir einen langanhaltenden, für meine Eltern sehr schmerzhaften Prozess. Als ich hier vor zwölf Jahren angefangen habe, war gerade unsere Tiefzeit. In der Wirtschaftskrise ging es auch den guten Unternehmen nicht gut. Damals hatten wir noch 27 Gewerbliche, Maurer. Jetzt  gehen wir wieder auf die 60 zu. Wir bilden auch wieder fleißig aus. Die gewerblichen Mitarbeiter, die wir suchen, kriegen wir am besten, indem wir sie selbst ausbilden. 

Sebastian Purps-Pardigol: Wie reagieren die Gewerblichen, wenn Sie mit denen arbeiten, und wie die Bürokollegen? Welche Unterschiede erleben Sie bei diesen Menschen beispielsweise bei Themen wie Vertrauen oder Mitgestalten lassen?

Lorenz Hansen: Wir arbeiten gerade hart dran, diese beiden Welten stärker zusammenzuführen. Draußen auf dem Bau herrschen andere Rahmenbedingungen – allein schon gesetzlich. Auf der Baustelle müssen wir kontrollieren, wer wann anwesend ist, und das bedeutet: stempeln. Da draußen gibt es viele Unternehmen, die mit der Arbeitszeit Schindluder treiben. Der Mindestlohn wird umgangen, indem man die Mitarbeiter zehn Stunden arbeiten, aber nur acht Stunden aufschreiben lässt. Deswegen gibt es sehr strenge Rahmenbedingungen zur Bekämpfung von Schwarzarbeit, die leider notwendig sind. Trotzdem versuchen wir, unseren Gewerblichen so viel Freiraum wie möglich zu geben. Beispielsweise haben wir erkannt, dass wir uns mit unseren Bauprojekten stärker nach außen öffnen müssen, allein schon, weil wir mitunter viel Widerstand von den Nachbarn haben. Daher haben wir das Projekt „Auf gute Nachbarschaft“ entwickelt, wo wir stark in den Bürgerdialog gehen. Und unsere Jungs haben Ideen für das Teilprojekt „Gundlach am Bauzaun“ in einem Workshop mitentwickelt. Wir versuchen, unsere Mitarbeiter auf den Baustellen dafür zu sensibilisieren, vor Ort gut zu kommunizieren. Da wird mal ein Auto dreckig, und die Nachbarn sind stinksauer. Dann kommt es darauf an, dass unser Polier draußen gut kommuniziert. Dafür haben wir Maßnahmen entwickelt – und dafür brauchten wir unsere Mitarbeiter erstmal, weil sie uns die Probleme aufzeigen mussten. Inzwischen haben sie Waschgutscheine, die sie dann rausgeben. Aber ganz ehrlich: Als wir unsere Gewerblichen das erste Mal eingeladen haben, einen Workshop zu machen,  einen ganzen Tag lang im Büro zu sitzen, an  einer Tafel zu stehen und was zu erarbeiten – da haben einige  von denen das zum ersten Mal in ihrem Leben gemacht, und nicht alle waren begeistert. Das ist eine andere Welt.  Deswegen ist das nicht Eins zu Eins übertragbar.

Sebastian Purps-Pardigoll: Sie wollen also auch mit den gewerblichen Kollegen Mitarbeitergespräche führen, schreiben Sie auf ihrer Webseite als ein konkretes Ziel …

Lorenz Hansen: Das haben wir noch nicht so erreicht, wie wir uns das gedacht haben. Das sind noch eine Menge Gespräche, die da auf uns zukommen. Die Gespräche werden auch anders laufen. In unseren Mitarbeitergesprächen haben wir in der Vergangenheit sehr stark mit Zielen gearbeitet. Jetzt sind wir wieder an einem Punkt, wo wir merken: DAS Mitarbeitergespräch, das einmal im Jahr stattfindet, wird es so nicht mehr geben. Es wird ein agiles „im Gespräch bleiben“ sein. Aktuell haben wir eine Gruppe, die sich mit der Frage beschäftigte. Auch mit der Frage wie ein Mitarbeitergespräch mit Gewerblichen aussehen wird.

Sebastian Purps-Pardigol: Wie unterscheiden sich Mitarbeitergespräche mit Büroangestellten von Mitarbeitergesprächen mit Gewerblichen?

Lorenz Hansen: Da habe ich noch keine Antwort. Wir stellen fest: Der klassische Leitfaden, den wir vor fünf oder sechs Jahren eingeführt haben, löst sich heute immer mehr auf, weil die Inhalte nicht mehr zeitgemäß sind: „Wie zufrieden bist du? Wie geht es dir? Wie zufrieden bist du mit der Führungskraft, wie zufrieden bin ich als Führungskraft mit dir? Was brauchst du für deine persönliche Entwicklung?“ Auf der Baustelle arbeitet man ja im Kollektiv, und das ist auch viel fremdbestimmter. Da sitzen die Bauleiter zusammen: „Ich brauche morgen fünf Jungs zum Mauern auf meiner Baustelle.“ Und der andere sagt: „Ich brauche zwei Jungs zum Abbrechen, die müssen ordentlich ranklotzen.“ Und dann kriegen die Kollegen das gesagt und fahren dahin. Ziele entwickeln, das ist was völlig Anderes. Wir haben gerade einen Führungswechsel. Die neue Führungskraft ist die interne Umbesetzung einer Kollegin, die jetzt neu das Bauunternehmen führt. Sie hat keinen Bauhintergrund, sondern wird verstärkt von Kollegen mit technischem Hintergrund. Die ist gerade dabei, mit allen Mitarbeitern ein Gespräch zu führen: „Wie geht es dir? Was hast du für ein Bild vom Bauunternehmen?“ Das ist total spannend. Die Reaktionen auf diese Gespräche reichen von: „Oh Gott, wie komme ich hier bloß wieder raus“, bis zum Wasserfall, der anderthalb Stunden sprudelt. Ganz ganz spannend! Als nächstes machen wir einen Workshop zu dem Bild: „Wie soll das Bauunternehmen künftig aussehen und zusammenarbeiten?“ Sie hat die Mitarbeiter eingeladen: “Macht bitte mit“, andere haben sich von alleine beworben. Auch unter den Gewerblichen gab es Kollegen, die gesagt haben: „Da hab ich Bock drauf!“. Da geht es zwei Tage ins Kloster. Sowas haben einige noch nie gemacht – sich zurückziehen, intensiv  miteinander an Zielen und Wegen arbeiten. Das steht uns jetzt im Herbst bevor, da wird es richtig spannend.