Interview Lufthansa Exclusive

Lufthansa-Exclusive Interview: Professor Gerald Hüther

Lufthansa Exclusive: Unternehmer und Manager müssen neue Strategien entwickeln, um in der Wirtschaftskrise zu überleben. Change-Management heißt die ökonomische Wunderwaffe. Die Mitarbeiter sind aufgefordert, sich den Veränderungen im Betrieb anzupassen. Doch inzwischen belegen verschiedene Untersuchungen, dass die angestrebten Veränderungsprozesse nicht greifen. Was läuft aus Sicht des Hirnforschers falsch?

Gerald Hüther: Die meisten Change Manager arbeiten mit mit Beschwörungen, mit guten Ratschlägen und Belehrungen, womöglich gar mit lauter wohlsortierten Argumenten in vollgepackten Power Point Präsentationen. Die Objekte ihrer Bemühungen sollen zuhören und begreifen, dass sie sich zu ändern haben. Dass das so nicht funktioniert, weiß ja jeder, der Kinder erzogen oder Schüler unterrichtet hat. Dadurch, dass man von außen zieht und drückt oder es mit Wissen abfüllt, verändert sich kein Hirn. Das Zauberwort heißt: Es muss unter die Haut gehen. Nur dann werden die emotionalen Zentren im Mittelhirn aktiviert und nur dann werden an den Ecken der Fortsätze dieser Zellen diese sog. neuroplastischen Botenstoffe ausgeschüttet, die wie Dünger für` s Hirn wirken.

Lufthansa- Exclusive : Wenn mit Arbeitsplatzverlust gedroht wird, geht das auch unter die Haut?

Hüther: Ja, klar, aber Angst steigert weder die Leistungs- noch die Veränderungsbereitschaft. Mit Druck oder dem Schüren von Angst kann man Mitarbeiter zwar dazu bringen, sich so zu verhalten, wie man das wünscht. Das funktioniert aber nur kurzfristig. Im Gehirn dieser Mitarbeiter verändert sich dabei gar nichts. Wenn der Chef weg ist, machen sie weiter wie bisher. Das kennt ja jeder.

Lufthansa Exclusive: Helfen Belohungen?

Hüther: Auch das Versprechen von mehr Lohn und die Aussicht auf Karriere führen nicht zu nachhaltigen Veränderungen im Gehirn. Belohnung und Bestrafung sind Dressurmethoden. Wer sie einsetzt, verhält sich wie ein Eseltreiber, der seinen Esel entweder mit der Peitsche oder einem Bund Möhren zum Laufen bringen will. Das funktioniert nicht. Im Gegenteil. Der Esel macht die Erfahrung, dass es ihm immer besser gelingt den angedrohten Schlägen zu entkommen oder eben die Möhren zu schnappen, ohne sich von der Stelle zu bewegen. Manche Esel bringen es darin zu wahrer Meisterschaft.

Lufthansa-Exclusive: Das klingt nach Boykott.

Hüther: Aus neurobiologischer Sicht ist das völlig o. k., wir haben unser lernfähiges Gehirn ja nicht zum Auswendiglernen oder zum Befolgen von Anweisungen, sondern zum Lösen von Problemen. Die Reaktionen dieser Mitarbeiter sind also durchaus kreative Lösungen. Die machen eine positive Erfahrung nach der anderen. Derjenige, dem es dabei nicht gut geht, ist der Eseltreiber. Wenn er dieses Spiel nicht durchschaut und immer so weiterzumachen versucht, wie bisher, schaltet sein Gehirn irgendwann eine Notlösung ein. Dann gerät er in diesen sehr ungesunden Zustand von Hilflosigkeit und Ohnmacht. Den erleben wir immer dann, wenn wir nichts mehr gestalten können. Dann laufen das sympathische und das parasympathische Nervensystem gleichzeitig auf Hochtouren. Das ist vergleichbar, wenn man im Auto gleichzeitig voll Gas gibt und auf die Bremse tritt. Über kurz oder lang fliegt einem dann der Motor um die Ohren. Das nennt man Burn Out.

Lufthansa: Sture Mitarbeiter. Ausgebrannte Vorgesetzte. Das ist das Ergebnis von Veränderungsprozessen?

Hüther: Zumindestens in all jenen Unternehmen, denen im Zuge der Wirtschaftskrise der Spirit abhanden gekommen ist , der die Firma und somit auch die Mitarbeiter einst beseelt hatte. Wer sich um diesen Geist nicht gekümmert hat, bei dem ist dann meist ein anderer Geist eingezogen. Der Verwaltungsgeist mit seinen Controlinginstrumenten. Dann steht auch die Kundenbeziehungen nicht mehr im Mittelpunkt, sondern nur noch die Gewinne. Welcher Mitarbeiter wird sich dafür begeistern, den Shareholdern ihre Aktiengewinne zu vergößern? Der freut sich, wenn er für eine Firma arbeitet, die in der Öffentlichkeit und bei den Kunden einen guten Ruf hat. Geht es nur noch um das Geld, hat der Einzelne das Gefühl, auf mich kommt es nicht mehr an. Er sieht keinen Sinn mehr, fühlt sich verwaltet. Es folgt ein Leistungsabfall und die innere Kündigung. Und je mehr Mitarbeitern das so geht, umso schneller ist die Firma pleite.

Lufthansa-Exclusive: Wenn die Firma in einer wirtschaftlichen extrem schwierigen Situation steckt, dann bleibt nicht viel Zeit den alten oder einen neuen Geist zu beschwören.

Hüther: Das ist richtig, dann geht es ihnen als Unternehmer so, wie jemanden der in Lebensgefahr ist. Dann werden die archaischen Notfallprogramme im Hirnstamm aktiviert. Also Angriff und alle zusammentreiben. Aber langfristig macht man ein Unternehmen damit kaputt. Sogar dort, wo vorher eine gute Unternehmenskultur vorhanden war, ist die spätestens nach ein paar Wochen futsch. Das erleben wir derzeit in vielen börsennotierten Unternehmen. Da wird ein Dompteur nach dem anderen geholt, der versucht mit seinen Methoden das Ruder noch herumzureißen. Die Mitarbeiter werden dabei seekrank, aber nicht leistungsfähiger.

Lufthansa-Exclusive: Trotzdem sitzen wir alle in einem Boot und müssen unsere Brötchen verdienen. Rettungsboote klar machen oder neuen Kurs einschlagen?

Hüther: Das eigene Gehirn aus dem Notfallmodus umschalten und darüber nachdenken, was uns eigentlich in die Krise geführt hat, wäre nicht schlecht. Versteht man unter eine Krise etwas, was ins Ungleichgewicht geraten ist. Wie bei einer Waage versucht man das Ganze dann durch Gewichtsverlagerung auszubalancieren, nennt das Change-Management und beschwört Veränderungsprozesse. Es wird noch mehr dressiert, Konkurrenz geschürt. Dazu muss man ständig neue Maßnahmen, Regeln, Kontrollen erfinden und möglichst viel Druck erzeugen, damit man den Wettkampf gewinnt. So wird die Krise nicht durch eine kreative, innovative Lösung überwunden, sondern auf die gleiche Weise beantwortet, wie auch das Gehirn auf Notfälle reagiert: Rückgriff auf das Bewährte, also noch mehr vom alten Muster.

Lufthansa-Exclusive: Was wäre denn ein erster Schritt für eine kreative Lösung?

Hüther: Wir könnten zum Beispiel noch einmal darüber nachdenken, ob das, was wir Krise nennen, überhaupt eine Krise ist.

Lufthansa-Exclusive: Was ist es sonst?

Hüther: Wir stecken in einem Dilemma. Bestimmte, von Menschen zur Verwirklichung wirtschaftlicher Ziele ausgedachte und eine Zeit lang wohl auch erfolgreich verfolgte Konzepte haben sich als untauglich erwiesen. Wir müssten uns eingestehen, dass wir nicht ewig weiter wachsen können, dass die Ressourcen begrenzt sind. Solange es uns nicht gelingt, dieses Dilemma zu lösen, werden wir von einer Krise zur nächsten schlittern.

Lufthansa Exclusive: Wie löst man ein Dilemma?

Hüther: Jedenfalls nicht, indem man einmal hier und einmal dort etwas auf die aus dem Gleichgewicht gekommenen Waagschalen draufpackt. Das kann man ewig so treiben, ohne dass sich etwas bewegt. Das haben wohl die östlichen Philosophen mit dem Bild vom ewigen Kreislauf von Wiedergeburten gemeint: entweder man löst das Dilemma durch eine eigene Weiterentwicklung – also keine Reformation sondern eine wirkliche Transformation – oder man dreht sich immer weiter im Kreis. Gegenwärtig läuft dieses Hamsterrad allerdings global immer schneller. Albert Einstein hat es ja auch schon gesagt: „Die Probleme dieser Welt lassen sich nicht mit den gleichen Denkmustern lösen, die sie erzeugt haben.“ Und Albert Schweitzer noch deutlicher: „Das Heil der Welt liegt nicht in neuen Maßnahmen, sondern in einer anderen Gesinnung.“ Hirntechnisch heißt das, es geht um eine Veränderung der im Frontalhirn durch bisherige Erfahrungen entstandene Haltungen, innere Einstellungen und Überzeugungen.

Lufthansa-Exclusive: Und wie müssten sich die verändern?

Hüther: So, dass wir endlich unsere Potentiale entfalten und die alten eingefahrenen Autobahnen im Hirn verlassen können. Wir fahren immer die gleichen Strassen entlang, anstatt versteckte Nebenwege zu entdecken.

Lufthansa Exclusive: Wenn ich mich entscheiden sollte die Nebenwege zu benutzen, auf welches Ziel steuere ich denn zu?

Hüther: Kooperation statt Wettbewerb. Wir müssten die Sache vom Kopf auf die Füsse stellen. Wir brauchen kein Change Management, sondern einen Richtungswechsel. Weg von der Ressourcenausnutzungskultur hin zu einer Potentialenfaltungskultur. Dazu müssen wir die Beziehungen der Menschen in den Unternehmen ändern.

Lufthansa-Exclusive: Sie wollen die Firmenhierarchie aufweichen?

Hüther: Wir brauchen zumindestens eine andere Führungskultur. Wir brauchen Manager, die mit Leidenschaft führen und ihre Mitarbeiter begeistern. Eine der wichtigsten Erkenntnisse der Hirnforschung ist, dass Menschen nur dann ihre Potentiale entfalten, wenn sie sich für etwas begeistern. Dann geht die Gießkanne mit dem Dünger fürs Hirn an. Begeisterung ist deshalb so bedeutsamer und effektiver Verstärker für neuronale Umbauprozesse. Bis ins hohe Alter kann jeder Mensch neue Vernetzungen in seinem Gehirn aufbauen. Doch das passiert nicht mittels Gehirn-Jogging oder unter den Bedingungen des routinierten Alltagsbetriebs, sondern eben nur durch Aktivierung der emotionalen Zentren im Hirn.


Lufthansa-Exclusive: Und wenn der Frontallappen mit der Gießkanne der Begeisterung gedüngt wird, verändern sich auch Haltungen und Einstellungen?

Hüther: Die Leute machen mit. Der Frontallappen ist derjenige Bereich, in dem unsere sogenannten Metakompetenzen, unsere inneren Einstellungen, Überzeugungen und Haltungen verankert sind, auf deren Grundlage wir Entscheidungen treffen und Bewertungen vornehmen. Was sich dort herausbildet, lässt sich nicht durch Unterricht, Belehrungen und kluge Ratschläge beeinflussen, nur durch neue positive Erfahrungen. Die könnte eine Führungskraft für ihre Mitarbeiter ermöglichen, indem sie sie einlädt, ermutig und inspiriert, eine neue, bessere Erfahrung mit ihm, bei der Arbeit, im Team und in der Firma zu machen.


Lufthansa-Exclusive: Nehmen wir mal an, wir haben einen Chef, der einen neuen Kurs einschlagen will. Wie lädt der jemanden ein, den er nicht mag?

Hüther: Er braucht Mut und müsste herauszufinden versuchen, ob es nicht irgendeinen Teil gibt, den er vielleicht doch ganz sympathisch findet. Man muss ja nicht die ganze Person mögen.


Lufthansa-Exclusive: Und wenn einem partout nichts auffällt?

Hüther: Vielleicht könnte man den Mitarbeiter fragen, was er am Wochenende macht. Vielleicht stellt sich dann heraus, dass er Klavier spielt oder Bienen züchtet. So findet man vielleicht doch etwas, was man an diesem Stinkstiefel mag. Dann kann man ihn auch einladen, und schon verändert sich die Beziehung.


Lufthansa-Exclusive: Besteht nicht die Gefahr, dass sich der Manager lächerlich macht, wenn er plötzlich seine Haltung ändert? Der Mitarbeiter denkt doch, der Chef hat wohl gerade auf einen Coaching-Seminar eine neue Masche gelernt. Mal sehen wie lange das anhält?

Hüther: Dass man nicht gleich auf Begeisterung stößt, wenn man seine Mitarbeiter plötzlich als Menschen behandelt, muss man als Führungskraft schon aushalten. Es ist ja die Qualität einer Führungskraft, dass sie nicht gleich aufgibt. Natürlich entsteht beim Mitarbeiter erstmal ein leichtes Rauschen im Frontalhirn, die Wachsamkeit wird erhöht, das Hirn prüft und prüft, doch spätestens nach einer Woche kommt der Wendepunkt . Es ist zu anstrengend, andauernd misstrauisch zu sein, wenn man endlich so von seinem Chef behandelt wird, wie man sich das immer gewünscht hat. Das hält kein Mitarbeiter länger durch.


Lufthansa-Exclusive: Und wenn die Zahlen dann immer noch nicht stimmen, die Aufträge wegbrechen, dann kommt dem Vorgesetzten die Begeisterung auch schnell abhanden. Wer begeistert ihn?

Hüther: Wie kommen Sie auf die Idee, dass Menschen, die mit Freude arbeiten, weniger schaffen? Aus verschiedenen Untersuchungen wissen wir, dass Mitarbeiter nur zu circa 70 Prozent das leisten, was sie eigentlich könnten. Wir können nur ahnen, wie viel mehr jemand schafft und wie viel sorgfältiger und umsichtiger er arbeitet, dem der Job und die Arbeit im Team Freude macht. Dort unten in den tieferen Bereichen des Gehirns will doch jeder dazu gehören und mit anderen an einem gemeinsamen Strang ziehen. Menschen wollen etwas leisten und zeigen, dass sie etwas können. Aber sie müssen auch einen Sinn darin sehen. Das tun sie aber nur, wenn die Wirtschaft wieder für sie da ist. Und nicht umgekehrt.


Das Interview führte Angelika Janssen.